Jobcenter versenden bundesweit rechtswidrige Bescheide

 Foto: pixelio.de/Matthias Balzer

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Vorsorgliche Androhung der Leistungseinstellung

Bonn – Das Erwerbslosen Forum Deutschland fordert die Bundesagentur für Arbeit (BA) erneut auf, Bescheide von Jobcentern zu unterbinden, die Leistungsbezieher und besonderes deren Familien „Quasisippenhaft“ androhen, wenn sich einzelne Menschen nicht so verhalten, wie es eine Behröde haben will. So erhalten derzeit Hartz IV-Bezieher Leistungsbescheide, indem vorsorglich schon mal angedroht wird, dass ein zukünftiger weiterer Leistungsbezug für den Hartz IV-Bezieher und auch deren Familie davon abhänge, ob die Betroffenen irgendwelchen unbestimmten und vagen Verpflichtungen nachkommen. Wie diese Verpflichtungen allerdings zu erfüllen sind kann den Bescheiden nicht entnommen werden. „Wir betrachten solche Bescheide als Erpressung der Hartz IV-Bezieher und einen Freifahrtschein für Jobcenter für das Umgehen aller gesetzlichen Bestimmungen. Die BA und das Bundesarbeitsministerium fordern wir auf die Verwendung derartiger Textbausteine zu verbieten und dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter die gesetzlichen Bestimmungen einhalten“, so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

So heißt beispielsweise in einem Leistungsbescheid des Landkreises Dahme-Spreewaldes: […]„Leistungen werden nur dann weitergewährt, wenn Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten alles unternehmen, Ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden. Das heißt beispielsweise, dass Sie – sich intensiv um einen existenzsichernden Arbeitsplatz bemühen – sich aktiv an allen Maßnahmen beteiligen, die dieses Ziel unterstützen – Ihren Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung nachkommen, – der Einladungen des Jobcenters folgen.“[…] (*) Dieser Textbaustein wird inzwischen in zahlreichen Jobcenter in Deutschland verwendet, ohne dass es dazu eine rechtliche Grundlage gibt.

Höchstrichterliche Entscheidungen zählen nichts mehr?

„Beim Lesen eines solchen Schreibens fragt man sich, warum der Gesetzesgeber eigentlich ein so umfangreiches Sanktionssystem für Hartz IV-Bezieher geschaffen hat und die Bundesregierung diese erst im April erneut verschärft hat, wenn Jobcenter es sich so einfach machen können. Hier hängt es dann tatsächlich vom Goodwill eines Sachbearbeiters ab, ob jemand seine Möglichkeiten genutzt hat. Was er alles erfüllen muss bleibt völlig offen. Genau aber das ist höchstrichterlich den Jobcentern inzwischen mehrfach auferlegt worden“, so Behrsing weiter.

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Neue Masche der Jobcenter: Schon mal vorsorglich Sippenhaft androhen?

Bonn – Das Erwerbslosen Forum Deutschland fordert die Bundesagentur für Arbeit (BA)I auf Bescheide von Jobcentern zu unterbinden, die Familien „Quasisippenhaft“ androhen, wenn sich einzelne Menschen nicht so verhalten, wie es eine Behröde haben will. So versendet beispielsweise das Jobcenter Landkreis Dahme-Spreewald einer Familie einen Leistungsbescheid, indem vorsorglich schon mal angedroht wird, dass ein weiterer Leistungsbezug für die ganze Bedarfsgemeinschaft davon abhänge, ob die betroffenen Eltern irgendwelchen unbestimmten und vagen Verpflichtungen nachkommen. Wie diese Verpflichtungen allerdings zu erfüllen sind kann dem Bescheid nicht entnommen werden. „Wir betrachten solch einen ‚Bescheid als Erpressung der Hartz IV-Bezieher und einen Freifahrtschein für Jobcenter für das Umgehen aller gesetzlichen Bestimmungen. Die BA und das Bundesarbeitsministerium fordern wir auf die Verwendung derartiger Textbausteine zu verbieten und dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter die gesetzlichen Bestimmungen einhalten“, so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

Felix Z. (Name geändert) wandte sich heute an das Erwerbslosen Forum Deutschland, nachdem er einen neuen Leistungsbescheid über Hartz IV für sich und seine Familie erhalten hatte. Wörtlich heißt es dort: […]„Leistungen werden nur dann weitergewährt, wenn Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten alles unternehmen, Ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden. Das heißt beispielsweise, dass Sie – sich intensiv um einen existenzsichernden Arbeitsplatz bemühen – sich aktiv an allen Maßnahmen beteiligen, die dieses Ziel unterstützen – Ihren Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung nachkommen, – der Einladungen des Jobcenters folgen.“[…] (*)

Höchstrichterliche Entscheidungen zählen nichts mehr?

„Beim Lesen eines solchen Schreibens fragt man sich, warum der Gesetzesgeber eigentlich ein so umfangreiches Sanktionssystem für Hartz IV-Bezieher geschaffen hat und die Bundesregierung diese erst im April erneut verschärft hat, wenn Jobcenter es sich so einfach machen können. Hier hängt es dann tatsächlich vom Goodwill eines Sachbearbeiters ab, ob jemand seine Möglichkeiten genutzt hat. Was er alles erfüllen muss bleibt völlig offen. Genau aber das ist höchstrichterlich den Jobcentern inzwischen mehrfach auferlegt worden“, so Behrsing weiter.

Dem Erwerbslosen Forum Deutschland liegen noch keine Erkenntnisse darüber vor, ob solche Schreiben eine neue Masche der BA sind oder ein Eigenprodukt des Jobcenters Dahme-Spreewald ist. Jedenfalls hätte ein solcher Bescheid vor keinem Sozialgericht Bestandskraft, sorge aber für unnötige Aufregung bei Hartz IV-Beziehern.

Der Landkreis Dahme-Spreewald ist durch eine besonders hohe Arbeitslosigkeit geprägt und das macht die Sache für Betroffene besonders pikant.

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Hartz IV: 70 Prozent aller Sanktionen ungerechtfertigt

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Bonn – Im Jahr 2010 wurden 828.300 Sanktionen gegenüber Hartz IV-Beziehern ausgesprochen. Im Jahresdurchschnitt waren 136.000 Menschen von mindestens einer Sanktion betroffen. Das teilte die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/6833) am Donnerstag auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion (17/6519). Der häufigste Grund für Leistungskürzungen waren Meldeversäumnisse (61 Prozent), gefolgt von der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen oder deren Pflichten nachzukommen (18 Prozent), sowie der Weigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit anzunehmen (14 Prozent). Das Erwerbslosen Forum Deutschland wirft der Bundesregierung und den Jobcentern blinde Sanktionswut vor, denn immerhin waren 42 Prozent aller eingelegten Widersprüche und fast 60 Prozent der eingereichten Klagen erfolgreich.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland:

„Die Bundesregierung Jobcenter betreiben blinde Sanktionswut gegenüber Hartz IV-Beziehern, obwohl sie wissen, dass in 70 Prozent der ausgesprochenen Fälle die Sanktionen rechtswidrig waren. Die Gründe dafür sind hausgemacht: schlecht ausgebildete Mitarbeiter und oftmals chaotische Organisation in den Jobcentern.

Aber leider müssen wir auch feststellen, dass bei 828.300 Sanktionen nur in etwa ein Drittel (66.685) der betroffenen Personen einen Widerspruch eingelegt hatten. Geklagt hatten aber leider nur wenige Menschen (6.935), obwohl deren Chancen bei den Sozialgerichten überdurchschnittlich hoch gewesen wären. Durch die im April eingeführten Gesetzesverschärfungen hat die Bundesregierung nochmals die Hürden der Gegenwehr ohne jede Grundlage erhöht.Hinzu kommen die wesentlich härten Sanktionen gegen unter 25-Jährige. Denen werden schon beim ersten Pflichtverstoß 100 Prozent die Leistungen gekürzt. Die Begründung der Bundesregierung dazu ist völlig grotesk, wenn die schärferen Sanktionen gegenüber jungen Menschen damit verteidigt werden, dass dies Ausdruck des gesetzgeberischen Willens sei, Jugendliche an den entscheidenden Stellen des Übergangs von Schule in Ausbildung und von Ausbildung in Arbeit intensiver als andere Personengruppen zu unterstützen und sie zu motivieren (17/6833 S. 13). Ich bezeichne so etwas als schwarze Pädagogik.“