Neue Masche der Jobcenter: Schon mal vorsorglich Sippenhaft androhen?

Bonn – Das Erwerbslosen Forum Deutschland fordert die Bundesagentur für Arbeit (BA)I auf Bescheide von Jobcentern zu unterbinden, die Familien „Quasisippenhaft“ androhen, wenn sich einzelne Menschen nicht so verhalten, wie es eine Behröde haben will. So versendet beispielsweise das Jobcenter Landkreis Dahme-Spreewald einer Familie einen Leistungsbescheid, indem vorsorglich schon mal angedroht wird, dass ein weiterer Leistungsbezug für die ganze Bedarfsgemeinschaft davon abhänge, ob die betroffenen Eltern irgendwelchen unbestimmten und vagen Verpflichtungen nachkommen. Wie diese Verpflichtungen allerdings zu erfüllen sind kann dem Bescheid nicht entnommen werden. „Wir betrachten solch einen ‚Bescheid als Erpressung der Hartz IV-Bezieher und einen Freifahrtschein für Jobcenter für das Umgehen aller gesetzlichen Bestimmungen. Die BA und das Bundesarbeitsministerium fordern wir auf die Verwendung derartiger Textbausteine zu verbieten und dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter die gesetzlichen Bestimmungen einhalten“, so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

Felix Z. (Name geändert) wandte sich heute an das Erwerbslosen Forum Deutschland, nachdem er einen neuen Leistungsbescheid über Hartz IV für sich und seine Familie erhalten hatte. Wörtlich heißt es dort: […]„Leistungen werden nur dann weitergewährt, wenn Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten alles unternehmen, Ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden. Das heißt beispielsweise, dass Sie – sich intensiv um einen existenzsichernden Arbeitsplatz bemühen – sich aktiv an allen Maßnahmen beteiligen, die dieses Ziel unterstützen – Ihren Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung nachkommen, – der Einladungen des Jobcenters folgen.“[…] (*)

Höchstrichterliche Entscheidungen zählen nichts mehr?

„Beim Lesen eines solchen Schreibens fragt man sich, warum der Gesetzesgeber eigentlich ein so umfangreiches Sanktionssystem für Hartz IV-Bezieher geschaffen hat und die Bundesregierung diese erst im April erneut verschärft hat, wenn Jobcenter es sich so einfach machen können. Hier hängt es dann tatsächlich vom Goodwill eines Sachbearbeiters ab, ob jemand seine Möglichkeiten genutzt hat. Was er alles erfüllen muss bleibt völlig offen. Genau aber das ist höchstrichterlich den Jobcentern inzwischen mehrfach auferlegt worden“, so Behrsing weiter.

Dem Erwerbslosen Forum Deutschland liegen noch keine Erkenntnisse darüber vor, ob solche Schreiben eine neue Masche der BA sind oder ein Eigenprodukt des Jobcenters Dahme-Spreewald ist. Jedenfalls hätte ein solcher Bescheid vor keinem Sozialgericht Bestandskraft, sorge aber für unnötige Aufregung bei Hartz IV-Beziehern.

Der Landkreis Dahme-Spreewald ist durch eine besonders hohe Arbeitslosigkeit geprägt und das macht die Sache für Betroffene besonders pikant.

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Hartz IV: 70 Prozent aller Sanktionen ungerechtfertigt

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Bonn – Im Jahr 2010 wurden 828.300 Sanktionen gegenüber Hartz IV-Beziehern ausgesprochen. Im Jahresdurchschnitt waren 136.000 Menschen von mindestens einer Sanktion betroffen. Das teilte die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/6833) am Donnerstag auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion (17/6519). Der häufigste Grund für Leistungskürzungen waren Meldeversäumnisse (61 Prozent), gefolgt von der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen oder deren Pflichten nachzukommen (18 Prozent), sowie der Weigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit anzunehmen (14 Prozent). Das Erwerbslosen Forum Deutschland wirft der Bundesregierung und den Jobcentern blinde Sanktionswut vor, denn immerhin waren 42 Prozent aller eingelegten Widersprüche und fast 60 Prozent der eingereichten Klagen erfolgreich.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland:

„Die Bundesregierung Jobcenter betreiben blinde Sanktionswut gegenüber Hartz IV-Beziehern, obwohl sie wissen, dass in 70 Prozent der ausgesprochenen Fälle die Sanktionen rechtswidrig waren. Die Gründe dafür sind hausgemacht: schlecht ausgebildete Mitarbeiter und oftmals chaotische Organisation in den Jobcentern.

Aber leider müssen wir auch feststellen, dass bei 828.300 Sanktionen nur in etwa ein Drittel (66.685) der betroffenen Personen einen Widerspruch eingelegt hatten. Geklagt hatten aber leider nur wenige Menschen (6.935), obwohl deren Chancen bei den Sozialgerichten überdurchschnittlich hoch gewesen wären. Durch die im April eingeführten Gesetzesverschärfungen hat die Bundesregierung nochmals die Hürden der Gegenwehr ohne jede Grundlage erhöht.Hinzu kommen die wesentlich härten Sanktionen gegen unter 25-Jährige. Denen werden schon beim ersten Pflichtverstoß 100 Prozent die Leistungen gekürzt. Die Begründung der Bundesregierung dazu ist völlig grotesk, wenn die schärferen Sanktionen gegenüber jungen Menschen damit verteidigt werden, dass dies Ausdruck des gesetzgeberischen Willens sei, Jugendliche an den entscheidenden Stellen des Übergangs von Schule in Ausbildung und von Ausbildung in Arbeit intensiver als andere Personengruppen zu unterstützen und sie zu motivieren (17/6833 S. 13). Ich bezeichne so etwas als schwarze Pädagogik.“

Schwangere Hartz IV-Bezieherin: Linksfraktion fordert in offenen Brief an OB Nimptsch Aufklärung

Hannelore Tölke, Stadtverordnete der Linksfraktion Bonn

Hannelore Tölke, Stadtverordnete der Linksfraktion Bonn

Bonn – Zur Streichung der Leistungen einer jungen schwangeren Bonnerin durch das Jobcenter erklärt Hannelore Tölke, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bonner Stadtrat:

Die Linksfraktion Bonn hat sich heute mit einem offenen Brief an Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch gewandt. Darin fordert sie den OB zur Aufklärung im Fall einer jungen schwangeren Bonnerin auf, der zum 1.
August alle Leistungen durch das Jobcenter gestrichen wurden, weil sie angeblich ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen war.

Die hochschwangere Frau hatte einen Termin beim Bonner Jobcenter nicht wahrgenommen, weil ihr Arzt Bettruhe verordnet hatte und dies auch attestierte. Die Stellungnahme der Stadt im Artikel des Bonner General Anzeigers vom 16.08.2011 („Jobcenter streicht Schwangerer das Geld“) hatte bei der jungen Frau und in unserer Fraktion erhebliche Irritationen ausgelöst, weil das städtische Presseamt anscheinend ungeprüft Aussagen des Jobcenters wieder gegeben hatte, die nach Kenntnisstand der Linksfraktion nicht den Tatsachen entsprechen. Inzwischen wurde der Fraktion bekannt, dass das Jobcenter im sozialgerichtlichen Eilverfahren die Ansprüche anerkannt hat und den Entzug der Leistungen nach Prüfung der
Sach- und Rechtslage zurückgenommen hat.
Tatsächlich hatte das Jobcenter schon seit April Kenntnis über die Schwangerschaft. Aus einem der Fraktion vorliegendem Leistungsbescheid des Jobcenters vom 11. April geht eindeutig hervor, dass die junge Frau bereits im April einen Mehrbedarf für werdende Mütter zuerkannt bekommen hatte. Es ist auch nicht zutreffend, dass die Frau sechsmal ohne eine Entschuldigung nicht zu Terminen im Jobcenter erschienen war, da auch hier Krankmeldungen vorlagen.

Die Linksfraktion fordert nun den OB auf, die Stellungnahme der Stadt richtig zu stellen und sich persönlich der Angelegenheit anzunehmen. Der werdenden Mutter wurden mit Wirkung zum 1. August alle Leistungen gestrichen. Völlig unnötig wurde sie einem Stress ausgesetzt, der weder der Gesundheit der Mutter noch dem Schutz des ungeborenen Lebens zuträglich ist. Darüber hinaus muss eine Richtigstellung durch das Presseamt und eine Entschuldigung bei der werdenden Mutter erfolgen.

Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Hannelore Tölke, erklärt hierzu: „Dieser Fall – aber auch die vielen anderen – macht deutlich wie wichtig die politische Kontrolle des Jobcenters ist. In diesen Zusammenhang hatte es die Linksfraktion begrüßt, dass man einen Vertreter der Linksfraktion zu den Vorbesprechungen der Trägerversammlung des Jobcenters eingeladen hatte, inzwischen aber wieder ausgeladen hat, weil die Fraktion der CDU Druck ausgeübt hatte und keinen Vertreter der Linksfraktion dabei haben wollte. Transparenz und kritisches Begleiten des Jobcenters sind so zumindest sehr eingeschränkt“.

Kontakt / V.i.s.d.P:
Hannelore Tölke, Stadtverordnete der Linksfraktion Bonn c/o Linksfraktion Bonn, Altes Rathaus, Am Markt, 53111 Bonn

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Presseamt Bonn führt schwangere Hartz IV-Bezieherin regelrecht vor

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Bonn – Das Erwerbslosen Forum Deutschland machte in einer Pressemeldung (1) vom 12.August auf den Fall einer hochschwangeren Hartz IV-Bezieherin aufmerksam, der das Jobcenter Bonn alle Hartz IV-Leistungen gestrichen hatte, nachdem sie trotz ärztlich verordneter Bettruhe einen Termin bei ihrer Fallmanagerin nicht wahrgenommen hatte. Das Presseamt der  Stadt Bonn reagierte nun gegenüber dem „Bonner General-Anzeiger“ mit einer Darstellung, die aus Sicht des Erwerbslosen Forum Deutschland falsch ist und die junge Frau regelrecht vorführt. So wurde Elke Palm vom städtischen Presseamt  in der heutigen Ausgabe der Zeitung zitiert:„die Frau ist zu sechs Terminen unentschuldigt nicht erschienen“ und dass dem Jobcenter bis „zur Entscheidung über die Leistungskürzung nicht bekannt gewesen sei, dass die Tannenbuscherin schwanger sei“(2). Das Erwerbslosenforum wirft dem städtischen Presseamt vor, ungeprüft eine falsche Darstellung des Jobcenters übernommen zu haben.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland:

„Ich bin sehr erstaunt darüber, dass das Jobcenter angeblich erst Ende Juli von der Schwangerschaft der jungen Frau gewusst hätte. Uns liegt ein Leistungsbescheid des  Jobcenters Bonn vom 11. April vor, wo der jungen Frau bereits im April ein Mehrbedarf wegen Schwangerschaft gewährt wurde. Schwangere Frauen haben ab der 13. Schwangerschaftswoche einen Anspruch auf diesen Mehrbedarf. Dieser wurde ihr auch korrekt gewährt. Ebenfalls hat sie auch nicht bei Terminen unentschuldigt gefehlt, sondern hatte entsprechende Krankmeldung. Auch diese liegen uns vor.

Somit sind die Aussagen des städtischen Presseamts falsch und werfen ein schiefes Licht auf die junge Frau. Für solch eine Darstellung fehlt uns jedes Verständnis. Anstatt den Fall ganz des skandalösen Totalleistungsentzug ganz schnell im Sinne der schwangeren Frau in Ordnung zu bringen, wird der Leistungsentzug auch noch gerechtfertigt, indem man versucht die junge Frau vorzuführen. Der Schutz des ungeborenen Lebens und die Gesundheit der werdenden Mutter scheinen dabei nicht zu interessieren.

Der Fall ist inzwischen als Eilklage beim Sozialgericht. Wir raten dem Jobcenter dringend zu einem Anerkenntnis, damit die junge Frau wider ihre Leistungen erhält und sich auf die Geburt ihres Kindes vorbereiten kann. Das Ganze ist bereits jetzt schon ein Skandal und sollte schleunigst beendigt werden.“

(1) http://www.elo-forum.net/topstory/2011081132472.html

(2) http://www.general-anzeiger-bonn.de/index.php?k=loka&itemid=10490&detailid=926242

Jobcenter Bonn streicht Hochschwangeren alle Leistungen

Trotz ärztlich verordneter Bettruhe sollte sie zur Fallmanagerin

Bonn – Das Jobcenter Bonn hat einer im 7. Monat schwangeren Frau alle Hartz IV-Leistungen gestrichen, weil sie trotz ärztlich verordneter Bettruhe einen Termin bei ihrer Fallmanagerin nicht wahrgenommen hatte. Sie wäre „trotz Belehrung über die Rechtsfolgen der Aufforderung zur Mitwirkung“ nicht nachgekommen, hieß es in dem Schreiben an die junge muslimische Frau. Für das Erwerbslosen Forum Deutschland ist das ein Fall einer groben rechtswidrigen Entscheidung, weshalb die Initiative der werdenden Mutter umgehend einen Rechtsanwalt besorgt hatte. Dieser wird nun eine Eilklage beim Sozialgericht einreichen, da die Bonner Hartz IV-Behörde auf den vorige Woche eingelegten Widerspruch trotz Dringlichkeit und Fristsetzung bis heute nicht angemessen reagiert hat.

Für das Erwerbslosen Forum Deutschland stellt dieser Fall eine neue Qualität des Rechtsmissbrauchs dar, nachdem die Initiative im Frühjahr auf mehrere Fälle aufmerksam gemacht hatte, weil Jobcenter Schwangere wegen des Abbruchs oder der Ablehnung unzumutbarer Ein-Euro-Jobs zu sanktionieren versuchten. „Das Bonner Jobcenter setzt noch einen drauf und streicht direkt die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung, obwohl die Mitwirkungspflichten überhaupt nichts mit einem Termin bei der Fallmanagerin zu tun haben. Damit werden der grundgesetzlich verankerte Schutz des ungeborenen Lebens und die Gesundheit der werdenden Mutter krass missachtet. So viel Ignoranz gegenüber einer Schwangeren, die zudem noch krank ist, habe ich selten erlebt. Gleichzeitig bin darüber erschrocken, welche mangelnde Sensibilität und sozialrechtliche  Inkompetenz Mitarbeiter in den Hartz IV-Verwatlungen haben“, so Martin Behrsing, der Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

Mit einer Schwangerschaft beginnt für Hartz IV-Bezieherinnen oftmals eine Odyssee durch den deutschen Sozialstaat, bei der ganz schnell das ungeborene Leben unter die Räder kommt“, berichtet Behrsing.
In jüngster Vergangenheit war das Erwerbslosen Forum Deutschland immer wieder damit konfrontiert, dass junge schwangere Frauen, die im Hartz IV-Bezug stehen, von Jobcentern auf Null sanktioniert wurden. In einigen Fällen wurden den werdenden Müttern rechtliche Hilfe besorgt. Daraufhin mussten die Jobcenter die Sanktionen zurücknehmen. Ebenso häuften sich auch Beschwerden von Schwangeren, wonach es den Mitarbeitern in Jobcentern an der notwendigen Sensibilität und Respekt gegenüber werdenden Müttern mangelte, Anträge zum Teil unvollständig oder viel zu spät bearbeitet wurden und Mitarbeiter mangelhaftes rechtliches Fachwissen aufwiesen.
Die Beobachtungen der Initiative decken sich mit den Ergebnissen der von der „Mutter-Kind-Stiftung“ in NRW in Auftrag gegebenen Befragung an Schwangeren und ihren Erfahrungen mit den Jobcentern. Von rund 14.000 Fällen, in denen im ersten Quartal 2010 bedürftige schwangere Frauen Kontakte mit den ARGEN hatten, mussten in knapp 5600 Fällen Beratungsstellen intervenieren, damit die Frauen die ihnen rechtlich zustehenden Hilfen erhielten – oder überhaupt davon erfuhren. „Diese hohe Zahl an Falschberatung und Rechtsverweigerung ist erschreckend. Wenn hilfsbedürftige werdende Mütter beinahe zwingend rechtliche Hilfe der Schwangerschaftsberatungsstellen benötigen, wirft dies ein beschämendes Licht auf die Jobcenter“, so Behrsing.