„Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“: Worum geht es und wie ist der Stand der Dinge?
von Manuela Wischmann Fraktion DIE LINKE
1. Was ist geplant?
Im vorgelegten Gesetzentwurf sind weitreichende Änderungen der Sozialgesetzbücher II und III vorgesehen. Ziel ist die Weiterentwicklung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums. Die Zahl der Instrumente soll reduziert werden und gleichzeitig die Handlungsspielräume der Arbeitsvermittler/Fall-Manager erhöht werden. Wichtige Änderungen im SGB II (ALG II) und III (ALG I) und deren Bewertung:
a) Sanktionen, Zumutbarkeit, Eingliederungsvereinbarung
· Zumutbarkeitskriterien: Weiterhin soll für ALG II-Beziehende jede Arbeit zumutbar sein. Neu ist, dass es
nun auch zumutbar ist, die bisherige Erwerbstätigkeit, die den Leistungs bezug nicht beendet, für eine andere
Arbeit oder Eingliederungsmaßnahme aufzugeben. MinijobberInnen könnten demnach gezwungen werden, einen
Ein-Euro-Job anzunehmen. Diese Regelung dürfte mit der „Erwartung“ verbunden sein, dass Anspruchsberechtigte
„freiwillig“ auf Leistungen verzichten. Statt die Zumutbarkeitskriterien zu verbessern, werden sie
noch verschärft.
· Verwaltungsakt statt Eingliederungsvereinbarung: Zum Einen werden die Regelungen zur Eingliederungsvereinbarung
im SGB III den repressiveren Regelungen des SGB II angepasst (Art der Eigenbemühungen, deren
Häufigkeit und ihr Nachweis sollen nun erfasst werden). Sowohl im SGB III als auch im SGB II soll zukünftig
ein Verwaltungsakt eine nicht zustande gekommene Eingliederungsvereinbarung ersetzen können, vorher
war dies nur im SGB II möglich. Ursprünglich war im ersten Referentenentwurf geplant, Sanktionen aufgrund
der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, abzuschaffen. Dies wurde allerdings im
späteren Gesetzentwurf nicht mehr berücksichtigt. Zum Anderen sollen im SGB II zukünftig Widersprüche gegen
Verwaltungsakte, die Erwerbslosen anstelle einer Eingliederungsvereinbarung auferlegt werden, keinen
aufschiebenden Charakter mehr haben. Dadurch wird die Rechtsposition der ALG II-Beziehenden weiter geschwächt.
· Verschärfung der Sanktionen: Im Rahmen des SGB III werden die vorgeschriebenen Sperrzeiten bei sog.
versicherungswidrigem Verhalten nur noch daran orientiert, wie oft ein solches Verhalten diagnostiziert wird.
Hinzu kommt, dass Arbeitslose zukünftig für drei Monate von der Vermittlung ausgeschlossen werden sollen,
wenn sie der auferlegten Auskunftspflicht nicht nachkommen oder Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung
nicht erfüllen. Bisher wird man nur für den Zeitraum der Pflic htverletzung ausgeschlossen. Statt endlich
auf Sanktionen als Mittel der Arbeitsmarktpolitik zu verzichten, werden diese verschärft. Es fehlen gute Arbeitsplätze
und nicht der Wille zu arbeiten.
b) Neuausrichtung der Instrumente
· Vermittlungsbudget: Mit dem Vermittlungsbudget (§ 45 SGB III) wird ein neues Instrument eingeführt, das
neun bisher eigenständig geregelte Instrumente (bspw. Freie Förderung, Bewerbungskosten, Mobilitätshilfen)
ersetzen soll. Mit diesem Budget soll den Vermittlungskräften ein flexibles und unbürokratisches Instrument in
die Hand gegeben werden. Eine solche Veränderung darf aber nicht zu Lasten der Erwerbslosen gehen. Doch
genau dies ist zu befürchten. Zum Einen liegt der Einsatz des Vermittlungsbudgets allein im Ermessen des
Vermittlers, da kein Rechtsanspruch auf Förderung besteht. Zum Anderen wird die Nutzung des Budgets an
Voraussetzungen gebunden. Beispielsweise müssen die Aussichten auf Reintegration in den Arbeitsmarkt erheblich
verbessert werden. Nicht zuletzt ist unklar, in welchem Umfang überhaupt finanzielle Mittel für das
Vermittlungsbudget bereit gestellt werden sollen. Daher besteht die Gefahr, dass dieses Instrument im Sinne
der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der BA auch für Einsparungen genutzt werden kann.
· Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung: Durch diese Maßnahmen (§ 46 SGB III)
werden acht bisherige Instrumente ersetzt (bspw. Beauftragung Dritter mit der Vermittlung, Trainingsmaßnahmen,
Aktivierungshilfen). Hierbei handelt es sich hauptsächlich um kurzfristige Maßnahmen oder die Überweisung
von Arbeitslosen an private Einrichtungen. Beides sind Ansätze, die von der Fraktion DIE LINKE. kritisch
betrachtet werden. Vermittlung und Betreuung sind unserer Ansicht nach öffentliche Aufgaben. Kurzfris2
tige Maßnahmen sind wenig nachhaltig, gehen häufig zu Lasten von längerfristigen Maßnahmen und dienen
meistens nur der Überprüfung der Arbeitswilligkeit.
· Keine strukturelle Stärkung der beruflichen Aus – und Weiterbildung: In der Aus- und Weiterbildung ist
durch die Anwendung des Vergaberechts für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (§ 61 SGB III) sowie
für die Unterstützung und Förderung der Berufsausbildung (§ 240 SGB III) ein weiterer Qualitätsverlust zu befürchten.
Hinzu kommt, dass die Qualitätsprüfung von Weiterbildungsmaßnahmen nicht mehr verpflichtend
durch die Arbeitsagenturen durchgeführt werden muss, sondern eine Kann-Regelung eingeführt wird (§ 86
SGB III). Die Bundesregierung propagiert zwar lebenslanges Lernen, versäumt es aber, die berufliche Weiterbildung
strukturell zu stärken. Sinnvoll wäre beispielsweise ein Rechtsanspruch auf Weiterbildungsmaßnahmen.
· Recht auf Hauptschulabschluss? Davon kann keine Rede sein. Auszubildende ohne Schulabschluss haben
lediglich einen Anspruch darauf, auf den nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses vorbereitet zu werden
(§ 61a SGB III). Ein Recht auf einen Schulabschluss ist damit laut Gesetzesbegründung explizit nicht verbunden.
Arbeitnehmer ohne Schulabschluss sollen durch Übernahme der Weiterbildungskosten zum nachträglichen
Erwerb des Hauptschulabschlusses gefördert werden (§ 77, Absatz 3 SGB III). Hierfür ist die Erwartung
einer erfolgreichen Teilnahme an der Maßnahme Voraussetzung. Ob hiermit Maßnahmen zur direkten Erla ngung
des Hauptschulabschlusses gefördert werden oder auch nur vorbereitende Maßnahmen bleibt unklar. In
der Gesetzesbegründung wird lediglich klar gestellt, dass kein Recht auf einen Schulabschluss formuliert wird.
Dies wird alle rdings schon durch die Einschränkung, dass eine erfolgreiche Teilnahme zu erwarten sein muss,
deutlich.
· Einengung dezentraler Handlungsspielräume: Bisher gibt es sowohl im SGB III als auch im SGB II Möglichkeiten
und Finanzmittel, die flexibel vor Ort genutzt werden können, um auf spezifische Problemlagen einzugehen.
Im SGB III ist das die Freie Förderung (§ 10 SGB III), auf deren Basis bis zu 10 Prozent der Eingliederungsmittel
für innovative Projekte und Ermessensleistungen herangezogen werden können. Im SGB II gibt
es die sog. sonstigen weiteren Leistungen (§ 16 Absatz 2 Satz 1), die für einen flexiblen und individuellen Einsatz
vorgesehen sind. Beide Regelungen sollen mit Verweis auf das Vermittlungsbudget abgeschafft werden.
Im SGB III wird stattdessen ein Experimentiertopf (§ 421h SGB III) eingeführt, für den allerdings maximal ein
Prozent der Eingliederungsmittel genutzt werden dürfen. Im SGB II wird eine Freie Förderung (§ 16f SGB II)
eingeführt, nach der allerdings lediglich zwei Prozent der Eingliederungsmittel eingesetzt werden dürfen. Die
Möglichkeiten lokaler Entscheidungs- und Handlungsspielräume werden deutlich eingeschränkt. Allerdings
wurden gerade die sonstigen weiteren Leistungen im SGB II häufig genutzt, um bspw. mit Kofinanzierung
durch den Europäischen Sozialfonds oder andere Programme benachteiligte Jugendliche zu fördern. Es besteht
die Gefahr, dass viele dieser Maßnahmen nicht mehr fortgesetzt werden können. DIE LINKE ist der Auffassung,
dass für die Entwicklung flexibler und passgenauer Instrumente vor Ort ausreichend finanzielle Mittel
zur Verfügung stehen müssen. Daher lehnen wir die geplante Einschränkung ab.
· Abschaffung von ABM im SGB II: Zukünftig soll es für ALG II-Beziehende keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
mehr geben. Im SGB III bleiben sie erhalten. DIE LINKE lehnt es ab, dass nur noch ALG IBezieherInnen
in den Genuss von ABM kommen. Dieses Instrument muss allen Erwerbslosen offen stehen, um
Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Viele gemeinnützige Projekte sind in Gefahr, wenn es im SGB II nicht
mehr zur Verfügung steht. Anzumerken ist zudem, dass jetzt auch für Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante
keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mehr gezahlt werden sollen.
2. Fazit: Mit diesem Gesetzentwurf sollen die Hauptlinien der bisherigen Arbeitsmarktpolitik weiter geführt werden.
Der repressive Charakter der Arbeitsmarktpolitik wird im Sinne der Agenda 2010 verschärft. Es besteht die
Gefahr, dass die vorgenommen Änderungen vor dem Hintergrund der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung und
den sich bereits für die nächsten Jahre anbahnenden Defiziten der BA dazu genutzt werden, zu Lasten der Erwerbslosen
zu sparen. Die Ermessensspielräume der Vermittler werden größer, sodass sie auf eben solche Sparziele verpflichtet
werden können. Rechtsansprüche haben Erwerbslose kaum. Nicht zuletzt führen die Vorschläge dazu,
dass eine einheitliche Arbeitsmarktpolitik für alle Erwerbslose noch weiter in den Hintergrund rückt. Vor allem
was zur Verfügung stehende Instrumente anbelangt. Hinsichtlich der Sanktionen werden SGB II und III allerdings
immer mehr angeglichen – auf dem Niveau des repressiveren SGB II.
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3. Stand der Dinge: Der Gesetzentwurf wird in erster Lesung am 13. November 2008 im Bundestag behandelt.
Das Gesetzgebungsverfahren soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein, da die Änderungen bereits ab Januar
2009 greifen sollen.