Auch Sozialämter müssen die täglichen zusätzlichen Fahrtkosten einer Methadonbehandlung übernehmen

Auch Sozialämter müssen die täglich anfallenden Fahrtkosten zu einer Methadonbehandlung im vollen Umfang zusätzlich gewähren. Dies entschied mit Urteil vom 30. November 2022 das Sozialgericht Köln (Az.: S 10 SO 205/22). Im vorliegenden Fall wollte der Rhein-Sieg-Kreis lediglich einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 20,40 Euro anerkennen, obwohl das schon ermäßigte Monatsticket für die täglichen Fahrten von Siegburg nach Bonn 60,40 Euro beträgt. Das Sozialamt stellte sich auf den Standpunkt, dass im Regelsatz der Sozialhilfe bereits 40,– Euro für Mobilität vorhanden wären und deshalb nur ein zusätzlicher Bedarf bestehen würde. Dass dem erwerbsgeminderten Rentner, der zusätzlich aufstockende Sozialhilfe bezieht damit keine Fahrten außerhalb des Geltungsbereichs des Monatsticket möglich war, wollte der Rhein-Sieg-Kreis nicht akzeptieren. Dem widersprach das Sozialgericht Köln und verwies darauf, dass durch eine tägliche Methadonbehandlung für den Mann ein erheblicher Mehrbedarf gegenüber anderen bestehen würde und seine soziale und kulturelle Teilhabe eingeschränkt würde. Im Übrigen würden bundesweit die Jobcenter und auch die umliegenden Sozialämter vom Rhein-Sieg-Kreis mittleiweile einen derartigen Mehrbedarf anerkennen. Das Erwerbslosenforum Deutschland hatte den Mann unterstützt seine Rechte durchzusetzen.Urteil inzwischen rechtskräftig.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosenforum Deutschland:
„Seit nunmehr 10 Jahren setzen wir uns dafür ein, dass der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Grundsatz des zusätzlichen Leistungsbedarf auch für Menschen, die sich wegen ihrer Drogenabhängigkeit in einer Methadonbehandlung befinden, die täglich anfallenden zusätzlichen Fahrkosten erstattet bekommen. Doch gerade diesen Menschen werden von den Grundsicherungsleistungsträgern immer wieder ihre Rechte vorenthalten, da diese von sich aus kaum Möglichkeiten haben ihre Rechte durchzusetzen und deshalb zu schnell nachgeben.“

2010 hatte das Bundesverfassungsgericht in dem Harzt-IV Urteil (Az.: 1 BvL 1/09 -, – 1 BvL 3/09 -, 1 BvL 4/09 -) entschieden, dass Grundsicherungsleistungsträger neben dem Regelsatz einen darüberhinausgehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen müssen, wenn dadurch die soziale und kulturelle Teilhabe eingeschränkt ist.
Im Falle einer Methadonbehandlung sind die gesetzlichen Krankenkassen für die Fahrtkosten nicht zuständig, wie das Bundessozialgericht bereits 2006 entschieden hatte. Deshalb müssen die Jobcenter und Sozialämter bei bedürftigen Menschen derartige zusätzliche Kosten übernehmen.

 

Das Urteil:

Sozialgericht Köln

Az.: S 10 SO 205/22
Verkündet am: 30.11.2022

Urteil

In dem Rechtsstreit

XXXXXXX Kläger
Proz.-Bev.:

gegen
Stadt Siegburg Amt für Senioren, Wohnen und Soziales, vertr. d.d. Oberbürgermeister,

Beklagte

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erhöhung des Regelsatzes wegen Fahrtkosten nach dem
3. Kapitel des Sozialgesetzbuches, Zwölftes Buch (SGB XII) im Zeitraum von Januar 2021 bis einschließlich April 2022.

Der am 28.10.1962 geborene Kläger erhalt eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der Deutschen Rentenversicherung und von der Beklagten ergänzende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Durch Bescheid vom 05.01.2021 bewilligte die Beklagte dem Kläger die Leistungen der Hilfe zum Lebens- unterhalt fur den Monat Januar 2021 in Hohe von 415,14 €. Zugrunde gelegt wurde der Regelsatz in Hohe von 446 € sowie Kosten der Unterkunft abzüglich der EM-Rente. Die Beklagte legte im Bescheid dar, dass die Leistung monatsweise durch Zahlung weiterbewilligt wird.

Der Kläger wird von der Substitutionspraxis S in Bonn betreut. Er erhalt dort die Methadon-Substitution an jedem Tag, auch an den Wochenenden. Mit Schreiben vom 19.01.2021 beantragte der Kläger die Fahrtkosten zur täglichen Substitutionsbehandlung von Siegburg nach Bonn und zurück. Er legte dar, dass der Fahrtkostenpreis fur ein Monatsticket nach Bonn nicht im Regelsatz enthalten sei. Er fugte eine Bescheinigung der Praxis Suma bei, wonach er seit dem 29.03.2019 substituiert wird und die Termine taglich auch samstags und sonntags stattfinden. Der Kläger trug vor, dass er von Januar 2021 bis Oktober 2021 die Strecke täglich mit dem Motorroller zurückgelegt habe und ab November wegen des Winters bis Frühjahr 2022 den öffentlichen Personennahverkehr benutzen werde. Er legte die Kopie des Monatstickets Mobilpass für 60,40 € vor.

Durch Bescheid vom 23.11.2021 gab die Beklagte dem Antrag teilweise statt. Sie verfugte die Übernahme monatlicher Kosten in Hohe von 20,40 € ruckwirkend ab 01.01.2021. Die Beklagte legte dar, dass aus Mitteln der Sozialhilfe nur die günstigsten Kosten anerkannt werden konnten. Dies seien 60,40 € für eine Monatsfahrkarte im öffentlichen Personennah- verkehr. Es sei von diesen erforderlichen Fahrtkosten der im Regelsatz vorgesehene Anteil für Verkehr, aktuell 40 € monatlich, abzusetzen, entsprechend konnten 20,40 € anerkannt werden. Durch Bescheid vom 23.11.2021 wurden die monatlichen Leistungen des Klägers ab 01.12.2021 auf 435,54 € erhöht. Ein Bescheid vom 23.12.2021 weist die Leistungen für den Monat Januar 2022 in Hohe von 438,54 G aus wegen Erhöhung des Regelsatzes.

Die Beklagte bleibt bei ihrer Auffassung und verweist auf den Widerspruchsbescheid des Rhein-Sieg-Kreises. Durch den Wechsel des Klägers vom Jobcenter in den Bereich des SGB XII sei eine Neubewertung erforderlich gewesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den ubrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 23.11.2021 und 23.12.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2022 sind insoweit rechtswidrig und beschweren den Kläger im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als dem Kläger nicht ein höherer, weiterer monatlicher Mehrbedarf i.H.v. 40 € bewilligt wird.

Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von Mehrbedarf im Sinne des § 27 a Abs. 4 SGB XII fur den Zeitraum von Januar 2021 bis einschlie8lich April 2022. Der Kläger gehört aufgrund einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zum leistungsberechtigten Personenkreis der Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Er kann im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB XII seinen notwendigen Lebens- unterhalt nicht allein aus seiner Rente bestreiten. Im Rahmen der Regelbedarfe nach § 28 SGB XII hat der Kläger Anspruch auf Bewilligung der Regelbedarfsstufe 1. Aufgrund der Fahrtkosten zur Methadonsubstitution von Siegburg nach Bonn und zurück und dem entsprechenden Mobilpass als günstigster Fahrgelegenheit i.H.v. 60,40 € inn Monat für die Monatskarte sind zusätzlich zum Regelbedarf die Fahrkosten nach § 27 a Abs. 4 SGB XII von der Beklagten zu bewilligen. Die Voraussetzungen des § 27a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 SGB XII liegen vor. Aufgrund der Fahrtkosten zur Methadon-Praxis S in Bonn besteht ein unausweichlich mehr als im geringen Umfang oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liegender Bedarf. Die tägliche Strecke kann nicht zu Fun zurückgelegt werden und der öffentliche Personennahverkehr ist als günstigste Mobilitätsform ma0geblich. Dass die Mehraufwen- dungen anderweitig ausgeglichen werden können, ist nicht erkennbar. Der Bedarf i.H.v. 60,40 € pro Monat liegt auch mehr als in geringem Umfang über dem im Regelsatz enthaltenen Betrag i.H.v. 40 € fur den Bereich Verkehr. Der Bedarf besteht für eine längere Zeit von deutlich mehr als einem Monat.