Andrej Hunko: Hartz IV bleibt menschenunwürdig und verfassungswidrig

Stimmerklärung zum Hartz-IV-Vermittlungsergebnis

Als vermutlich einziger ehemalig selbst Hartz-IV-Betroffener  im Bundestag stimme ich  gegen das Ergebnis des Vermittlungsausschuss. Das ausgehandelte Ergebnis ist vom Standpunkt der Erwerbslosen völlig unzureichend.

Nach meiner Auffassung sind weder die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt noch ist die grundlegende Problematik von Hatz-IV angegangen worden.

Mit der Einführung von Hartz-IV durch die damalige SPD-Grünen-Regierung ist ein Paradigmenwechsel in der bundesdeutschen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eingeleitet worden. Eine Versicherungsleistung für Beschäftigte wurde in ein System überführt, das Erwerbslose zu einem bizarren Spießrutenlauf nötigt, um überhaupt die elementarsten Lebensgrundlagen zu erhalten.  Parallel wurde ein drakonisches Sanktionsregime etabliert, das selbst bei kleinen Verfehlungen zum Entzug der lebensnotwendigen Leistungen führt.  Das Ziel und Ergebnis dieser „Reform“ war die Errichtung eines beispiellosen Niedriglohnsektors in Deutschland und das Abwälzen des gesellschaftlichen Problems der Arbeitslosigkeit auf die jeweiligen Erwerbslosen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Berechnungsgrundlage der Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig erklärt und damit einem Teil der Kritiken recht gegeben.  Der jetzt zwischen den Hartz-IV-Parteien SPD, Grüne, CDU und FDP ausgehandelte Kompromiss hebt die Verfassungswidrigkeit nicht auf.

Notwendig wäre bis zur völligen Abschaffung von Hartz IV die sofortige und repressionsfreie Erhöhung der Eckregelsätze auf 500 Euro, die Abschaffung des Sanktionsregimes und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 10 Euro.

Die Zustände in den „Jobcentern“ können nur als Zustände bezeichnet werden, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen“ ist, um ein bekannten deutschen Philosoph  zitieren. Daran ändert das Ergebnis des Vermittlungsausschusses nichts. Diesen Zuständen kann ich meine Zustimmung nicht geben.

Große Koalition verschärft Sozialabbau

Das Bundesverfassungsgericht urteilte, in der Folge verurteilte Bundestag, Bundesrat und die Regierung die Hartz-IV-Empfänger. Die vom Gericht vorgeschriebene Transparenz der Berechnungsgrundlage der Regelsätze wurde durch bewegliche Zahlen vorgeführt: 5 Euro mehr oder aber auch ein anderer Wert. Jedwede seriöse Bedarfsrechnung kommt allerdings auf mindestens 500 Euro Regelsatz. Was also kostet die im Grundgesetz festgelegte Würde des Menschen? Diese Würde soll schon gelten, aber kosten soll sie immer weniger. So bleiben mit dieser „Hartz-IV-Reform“ die gesetzlichen Daumenschrauben für das Prekariat.
Sie werden um noch weitere Drehungen angezogen. Das Prekariat stöhnt und schweigt. Es ist zu sehr mit der Prekarität seiner eigenen Existenz beschäftigt. Die Daumenschrauben ziehen hinter sich den gesamten Arbeitsmarkt weiter herunter. Wie weit noch, wo ist das Ende?

Die Verachtung der Würde hat ihren Preis. Auch der macht letztlich vor niemandem Halt. In Tunesien und in Ägypten ist er schon fällig geworden.
Mit wie vielen Opfern! Allerdings können wir noch ganz andere Opferzahlen in der deutschen Geschichte durch die Verletzung der Würde des Menschen vorweisen. Soll es noch mal so weit kommen? Diese „Hartz-IV-Reform“ stellt aber genau dafür die ökonomischen Weichen.

Regierung räumt intern große Kaufkraftverluste bei Hartz-IV-Empfängern ein

Linkspartei kündigt rechtliche Schritte gegen willkürliche Regelsatzpoliktik an

Leipzig (ots) – Die Bundesregierung rechnet intern bei der Ermittlung des neuen Hartz-IV-Regelsatzes mit höheren Kaufkraftverlusten, als sie offiziell einräumt. Das berichtet die „Leipziger Volkszeitung“ (Sonnabend-Ausgabe) unter Berufung auf interne Arbeitspapiere des Bundessozialministeriums. Unter Einbeziehung der verfügbaren aktuellen Veränderungsraten beim Lohn- und Preisindex stellt das Ministerium intern auf Seite 19 eines vorliegenden 43-seitigen Verhandlungspapiers für die CDU/CSU-Seite fest: In der Regelbedarfsstufe 1 müsste der Betrag von derzeit 359 Euro auf 370 Euro steigen. Würde nur der Preisanstieg aktuell eingerechnet, käme man in der Regelbedarfsstufe 1 mit 367 Euro hin.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, erklärte daraufhin gegenüber der Zeitung, dass „die Öffentlichkeit gezielt in die Irre geführt“ werde. „Real wird bei Hartz IV seit Jahren gekürzt. Die Hartz-IV-Haushalte haben Monat für Monat weniger in der Tasche. Alles wird teurer, aber ihre Bezüge wurden seit 20 Monaten nicht mehr angepasst.“ Statt aktiv und schnell zu handeln, begreife die Bundesregierung offenkundig den Reform-Auftrag durch das Verfassungsgericht als „Aufforderung zur Regelsatzkürzung“. Der Linkspartei-Chef kündigte rechtliche Schritte gegen die Hartz-IV-Politik der Regierung an. „Wir werden gegen diese Verabredung zum Verfassungsbruch rechtliche Schritte einleiten. Hartz IV wird schnell wieder vor dem Verfassungsgericht landen“, hob Ernst hervor.

Bundeskanzlerin gegen Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes

Berlin – Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich im Streit über die sogenannte Hartz IV Reform gegen eine Erhöhung des Regelsatzes ausgesprochen, der über fünf Euro. „Ich habe bisher noch kein einziges Argument gehört, das Ursula von der Leyens Berechnungen überzeugend infrage stellt. Sie beruhen auf Daten und Fakten, die von ihr sehr sorgfältig geprüft worden sind“, sagte Merkel im Interview des „Hamburger Abendblatts“ (Sonnabendausgabe). Das Bundesverfassungsgericht erwarte eine „nachvollziehbare und für alle transparente Berechnung des Hartz IV-Satzes – und genau das hat das Arbeitsministerium geliefert“. Die FDP wies Berichte über ein Entgegenkommen bei der Höhe des Hartz IV-Regelsatzes für Erwachsene zurück. 

Die Höhe des Hartz IV-Satzes entscheide im Übrigen auch über die Frage, inwieweit sich die Aufnahme von Arbeit lohne. „Wir sind überzeugt: Wer arbeitet, soll mehr haben, als wenn er nicht arbeitet“, betonte Merkel. „Auch daran richtet sich die Diskussion aus.“

Gleichzeitig machte Merkel die Opposition für die Verzögerung bei der Umsetzung der Hartz IV-Reform verantwortlich. Die Bundesregierung hätte pünktlich zum Jahresende eine verfassungskonforme Hartz IV-Neuregelung vorgelegt. Ebenso würde das Bildungspaket für Kinder eine wichtige Verbesserung darstellen. „Die Verzögerung liegt am Widerstand der Opposition“, so Merkel weiter. Zugleich äußerte Merkel die Hoffnung, dass in nicht allzu ferner Zukunft im Bundesrat die Lösung gefunden wird.

Jetzt Leistungen für Bildung und Teilhabe beantragen!

Zum 1. Januar 2011 muss nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 die Hartz IV-Regelleistung neu bemessen werden. Für den Fall, dass es zum 1.1.2011 keine gesetzliche Neuregelung gibt, hat das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben, die Neubemessung rückwirkend einzuführen. Um allerdings von den neuen Leistungen für Bildung und Teilhabe zu profitieren, müssen jetzt Anträge gestellt werden.

Seit Wochen streiten sich Regierung und Opposition über die Höhe der Regelleistung und das Bildungspaket für arme Kinder. Die Gesetzesänderung wird daher nicht vor März dieses Jahres in Kraft treten können. Da die neue Regelleistung für Kinder künftig ohne den Bedarf für Bildung und Teilhabe berechnet wird, müssen auch diese Leistungen rückwirkend zum Januar gewährt werden, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu genügen. Das bedeutet Kindern und jungen Erwachsenen ein soziokulturelles Existenzminimum zu gewährleisten, das ein Leben in Würde ermöglicht.

Die Sache hat aber einen Hacken: Leistungen für Bildung und Teilhabe werden größtenteils nur auf Antrag erbracht. Darauf weist der Erwerbslosenverein Tacheles e.V. aus Wuppertal jetzt hin. Ausnahme ist hier das sogenannte Schulpaket, das aber ohnehin erst mit Beginn des neuen Schuljahres zum August 2011 ohne Antrag fällig wird. Die anderen Bildungs- und Teilhabeleistungen müssen dagegen jetzt beantragt werden, um rückwirkend Ansprüche zu sichern.

Folgende Leistungen sind vorgesehen:
• die Übernahme der Kosten für eintägige Schul- oder Kindertagesstättenausflüge (mehrtägige Klassenfahrten werden bereits heute auf Antrag übernommen),
• Leistungen für Schülerbeförderung,
• zusätzliche Lernförderung falls erforderlich,
• Kosten für das Schulmittagessen und
• Sachleistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben, etwa für Vereinsbeiträge, Musikunterricht oder Freizeiten in Höhe von derzeit 10 Euro monatlich.

Tacheles e.V. vertritt zwar die Ansicht, dass vor allen die jetzt zur Diskussion stehenden Leistungen für die Teilhabe der Kinder und Jungendlichen viel zu niedrig bemessen sind, um den tatsächliche Bedarf zu decken. Dennoch ist sofortiges Handeln von Nöten, um für die Kinder rückwirkend Ansprüche zu sichern. Der Erwerbslosenverein. rät den Eltern daher, solche Anträge bereits jetzt zu stellen.

Auch die Bundesagentur für Arbeit vertritt offensichtlich diese Ansicht. Auf ihrer Internetseite informiert sie über das neue Leistungsangebot
(Bildung und Teilhabe – www.arbeitsagentur.de).
Ein Antragsformular auf Leistungen für Bildung und Teilhabe kann bereits von der Seite der Agentur heruntergeladen werden
(http://www.arbeitsagentur.de/zentral…ungsantrag.pdf).