Systemfrage stellen!

Nach monatelangem Schweigen lässt die Bundesregierung in Berlin die Katze aus dem Sack: Statt der Einführung einer armutsfesten Mindestsicherung, wird das Arbeitslosengeld II für Erwachsene um fünf Euro erhöht, die Sätze für Kinder bleiben konstant niedrig. Gutscheine für Bildung auf niedrigstem Niveau sollen eine Erhöhung der Kindersätze ersetzen. Die Pauschalen für Alkohol und Nikotin weichen den Pauschalen für die Praxisgebühr und Internetkosten. Als Bemessungsgrundlage dient nicht, was ein Mensch zum Leben braucht, sondern was sich Niedrigverdienende in Deutschland leisten können.

 Katharina Schwabedissen, Landessprecherin DIE LINKE. NRW

Katharina Schwabedissen, Landessprecherin DIE LINKE. NRW

Katharina Schwabedissen, Landessprecherin DIE LINKE. NRW erklärt dazu: „Die Bundesregierung erklärt mit dieser Entscheidung nicht nur, dass sich in der BRD Würde nicht am Menschsein, sondern an unwürdigen Niedriglöhnen orientiert. Sie erklärt darüber hinaus Eltern, die in Hartz IV leben, pauschal für unmündig, indem sie ihnen abspricht, Geld für Kinder auch für das Wohl der Kinder auszugeben. Gestrichen werden die Pauschalen für Nikotin und Alkohol. Das ist soziale Prohibition durch die Hintertür ausgerufen. Ziel dieser Regierung ist die Ausgrenzung, Bevormundung und Entmündigung aller, die der Arbeitsmarkt nicht mehr braucht.“


Sylvia Gabelmann, stellvertretende Sprecherin DIE LINK

Sylvia Gabelmann, stellvertretende Sprecherin DIE LINK

Sylvia Gabelmann, stellvertretende Sprecherin DIE LINKE, ergänzt: „Die Bundesregierung hetzt Menschen ohne Arbeit und Menschen, die sich zu Hungerlöhnen verdingen müssen, gegeneinander auf, anstatt dafür zu sorgen, daß alle Menschen in Deutschland in Würde leben können – ob mit oder ohne Arbeit. Um das zu erreichen, brauchen wir eine radikale Umverteilung von oben nach unten und zwar sofort! Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn und eine armutsfeste Mindestsicherung. Wir brauchen eine radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust, damit nicht einige sich kaputt schuften und andere überhaupt keine Arbeit bekommen. Ein System, das angeblich systemrelevanten Banken Hunderte von Milliarden hinterher schmeißt und gleichzeitig Hartz IV-Sätze um einen lächerlichen Betrag von fünf Euro erhöht, muss in Frage gestellt werden.“

Die Regelsatzerhöhung um 5 Euro ist eine Verhöhnung von Erwerbslosen

BAG Prekäre Lebenslagen ruft auf zur Demonstration am 10.10. nach Oldenburg: Krach schlagen statt Kohldampf schieben!

Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar dieses Jahres festgelegt, dass die Neubemessung der Hartz IV-Regelsätze bis 1. Januar 2011 in einem transparenten Verfahren nachvollziehbar begründet erfolgen muss. Arbeitsministerin von der Leyen zeigt bislang keine Anzeichen, die Vorgaben des höchsten Gerichts umzusetzen. Auch diesmal folgte die Festlegung des soziokulturellen Existenzminimums, des sogenannten Eckregelsatzes, den politischen Vorgaben der Regierungsparteien. Anstelle das Bemessungsverfahren offenzulegen und eine öffentliche Debatte darüber zu führen, was der Mensch zum Leben braucht, wurde über den Alkohol- und Tabakkonsum von Erwerbslosen und einkommensarmen Menschen debattiert und die Befriedigung des Bildungsbedarfs und der sozialen Teilhabe von Kindern und Jugendliche durch diskriminierende Gutscheine und Chipkaten propagiert.

Als Ergebnis der Neubemessung wurde gestern eine Erhöhung der Regelleistung um lediglich 5 Euro bekanntgegeben. Diese Festsetzung wird ohne Grund im Eiltempo durchgeführt. Das Datenmaterial wurde schließlich erst Ende letzter Woche vom statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig sieht der letzte Woche vorgelegte Entwurf einer umfassenden Hartz IV-Gesetzesänderung eine Reihe von gravierenden Einschnitten vor. So sollen die Eckregelsätze für Kinder in der Höhe gedeckelt werden, der befristete Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld fällt ersatzlos weg und die Wohn- und Heizkosten sollen kommunalisiert und pauschalierbar gemacht werden. Weitere Verschärfungen sind unter anderem bei Sanktionen und beim Hartz-IV-Verwaltungsverfahren geplant.

Mit dem aktuellen Gesetzgebungsverfahren will die Bundesregierung die Öffentlichkeit bewusst in die Irre führen. Menschen, die auf Sozialleistungen zum Lebensunterhalt angewiesen sind, geraten zunehmend in materielle Notlagen und ins gesellschaftliche Abseits. Die ignorante Haltung der Fachministerin verhöhnt die Betroffenen: „Die Erhöhung von 5 Euro ist völlig unakzeptabel, weil allein ein Zuschlag von 80 Euro monatlich für die gesunde Ernährung eines Erwachsenen erforderlich wäre. Dabei sind andere Aspekte der Teilhabe und Bildung noch gar nicht berücksichtigt“, erklärt Vorstandsmitglied Claudia Kratzsch von der BAG Prekäre Lebenslagen. „Mit diesem Gesetzgebungsverfahren wird eine neue Klagewelle heraufbeschworen, aber wir werden auch andere Mittel nutzen, um die Regierungspläne zu durchkreuzen.“

Deshalb ruft die BAG Prekäre Lebenslagen Erwerbslose und Erwerbstätige sowie BezieherInnen von Sozialhilfe, Wohngeld, Rente etc. gemeinsam zur Teilnahme an der bundesweiten Demonstration am 10. Oktober in Oldenburg auf. Wir wollen „Krach schlagen statt Kohldampf schieben!“ und fordern die sofortige Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes um mindestens 80 Euro.Erwerbsloseninitiativen wollen gemeinsam mit Erzeugern von Nahrungsmitteln und Beschäftigten in Discountern klar machen, dass auch Hartz- IV-Beziehende ein Anrecht haben auf Leistungen, mit denen sie sich gesunde Lebensmittel leisten können und dass sie gleichzeitig zu fairen Erzeugerpreisen und Löhnen im Einzelhandel beitragen können. Zu wenig Hartz IV ist schlecht für alle. „Wir wollen uns von dem Vorpreschen der Regierung nicht lähmen lassen. In Oldenburg werden Erwerbslosenzusammenhänge nach längerer Zeit wieder eine unabhängige bundesweite Demonstration organisieren. Das wird der Anfang einer Kette von Aktionen sein. Wir wollen uns in der Debatte um den Regelsatz Gehör verschaffen, denn noch ist das letzte Wort nicht gesprochen“, sagt Hinrich Garms von der BAG Prekäre Lebenslagen.

Grundrechte sind nicht auf dem schwarz-gelben Basar verhandelbar

Berlin – „Die Bundesregierung weigert sich, die Vorgaben aus Karlsruhe zur Neuberechnung der Hartz IV-Regelsätze in angemessener Weise zur Kenntnis zu nehmen und umzusetzen. Erst legt sie die Berechnungsverfahren nicht offen. Dann streitet sie über die Höhe der Sätze, als sei diese nach Gutsherrenart festzulegen – und all das auf dem Rücken der Betroffenen. Grundrechte wie das auf ein menschenwürdiges Existenzminimum sind aber nicht auf dem schwarz-gelben Basar verhandelbar. Das erbärmliche Gefeilsche läuft auf einen erneuten Verfassungsbruch mit allen juristischen Konsequenzen hinaus“, kritisiert Katja Kipping den koalitionsinternen Streit über die künftige Höhe der Hartz IV-Regelsätze. Zu dem von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgelegten Gesetzentwurf erklärt die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE  weiter:

„Bisher unbeachtet von der Öffentlichkeit werden weitere Weichenstellungen zu Lasten der Langzeitarbeitslosen vorgenommen. So sollen die Sanktionsmöglichkeiten verschärft werden. Spätestens seitdem die Karlsruher Richter den Grundrechtscharakter des Existenzminimums betont haben, erscheint das Sanktionsregime aber zumindest in Teilen als Verfassungsbruch. Wie lassen sich ein kompletter Entzug von Leistungen, die akute Drohung mit Wohnungslosigkeit und Verelendung – insbesondere bei jungen Menschen –  mit der Menschenwürde vereinbaren?

DGB: Neuregelung von Hartz IV darf sich nicht nach Kassenlage richten

Foto: http://medien.dgb.de/still_buntenbach.jpg

Foto: http://medien.dgb.de/still_buntenbach.jpg

Als „Armutszeugnis“ für die Bundesregierung bezeichnete DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Montag in Berlin bekannt gewordene Überlegungen zur Neuregelung der Hartz IV-Regelsätze. „Offenbar will die Bundesregierung das Regelsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts möglichst ,billig’ umsetzen.“ Nicht das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben, sondern die Kassenlage des Bundes scheint hier im Fokus zu stehen. Statt der vom höchsten deutschen Gericht geforderten Transparenz und einer empiriegestützten Ableitung der Sätze gerecht zu werden, werde offenbar so lange gerechnet, bis das politisch gewünschte Ergebnis vorliegt.

Regelsätze, die sich aus einer korrekten Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ergeben, sollen offenbar durch statistische Eingriffe bei der maßgeblichen Referenzgruppe nach unten gedrückt werden. „Wenn nur noch das Konsumverhalten der Allerärmsten der Einkommens-Pyramide berücksichtigt wird und noch nicht einmal ,verdeckt’ Arme und erwerbstätige Hartz IV-Aufstocker aus der Referenzgruppe herausgerechnet werden, treibt man die Hartz IV-Empfänger durch Zirkelschlüsse immer weiter in die Armut“, kritisierte Buntenbach.

Die vorgesehene jährliche Anpassung der Sätze nach einem Mixindex von Preis- und Lohnentwicklung reiche aber nicht aus. Sachgerecht wäre eine reine Kopplung an die Preisentwicklung der regelsatzrelevanten Güter.

Der DGB fordert eine ergebnisoffene, korrekt ermittelte EVS-Auswertung. „Eine unabhängige Sachverständigenkommission sollte dem Gesetzgeber Vorschläge unterbreiten. Hierbei müssen Bedarfsstudien zur Bildung, sozialen Teilhabe und gesunden Ernährung erstellt werden. Erst dann kann über die Frage öffentlich fundiert diskutiert werden, was ein Mensch zum Leben braucht, forderte Buntenbach. Eine bloße EVS-Auswertung sage nichts über den tatsächlichen Bedarf aus, sondern zeige nur das Konsumverhalten innerhalb des Mangels. Wenn das Einkommen nicht reiche, könne bestehender Bedarf – z.B. im Bereich Bildung – auch nicht gedeckt werden.

Die Bedeutung der Regelsatzfestlegung reiche weit über das Hartz IV-System hinaus, unterstrich Buntenbach. „Die Regelsätze und die steuerfreien Grundfreibeträge im Einkommenssteuerrecht sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb werden alle Erwerbstätigen von einer Erhöhung der Regelsätze profitieren. Das zeigt wieder einmal, dass die Interessen der Arbeitslosen und ArbeitnehmerInnen eng beieinander liegen.“

Zudem verenge die Diskussion um den Bildungs-Chip den Blick, betonte Buntenbach. „Die Probleme im Bildungsbereich gehen über Hartz IV hinaus und müssen an einem ‚Runden Tisch Kinderarmut’ besprochen werden – unter Beteiligung aller drei staatlichen Ebenen.“ Statt für einen Chip oder Gutscheine plädiere der DGB für einen Mix aus Geldleistungen und sozialer Infrastruktur rund um Kitas und Schulen.

Erneuter Koalitionskrach wegen Hartz IV-Regelleistungen

Berlin – Die geplante Neuberechnung der Regelsätze für Hartz IV-Bezieher sorgt für neuen Streit in der Koalition. Demnach lehnt Bundesaußenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle eine deutliche Erhöhung von Hartz IV ab. Laut “Bild”-Zeitung habe Westerwelle in der Telefonkonferenz am Dienstag mit FDP-Fachpolitikern wörtlich gesagt: “40 Euro im Monat mehr für jeden Hartz-IV Empfänger, aber Nullrunden – das ist nicht gerecht.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte am Montag einen Entwurf zur Neuregelung von Hartz IV vorgelegt. Von der Leyen will künftig die jährliche Anpassung der Hartz-IV-Bezüge von der Lohn- und Preisentwicklung abhängig machen. Außerdem sollen die Kosten für Internet und die Praxisgebühr zum Existenzminimum von Langzeitarbeitslosen gehören. Die Ministerin besteht bei der Neureglung der Unterstützung für Kinder aus Hartz-IV-Familien auch nicht auf einer Bildungschipkarte. Kinder und Jugendliche aus Hartz-IV-Familien sollen in Zukunft über das Jobcenter auch Zuschüsse für die Lernförderung, Schulmaterial, Mittagessen und Freizeitaktivitäten erhalten.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hingegen hat Arbeitsministerin von der Leyen (CDU) bei Hartz IV eine verfehlte Politik vorgeworfen. “Arbeitsministerin von der Leyen drückt sich um die Frage, wie hoch die Grundhöhe der Regelsätze tatsächlich liegen sollen. Die Debatte um Sachleistungen für Bildung und die Bildungschipkarte lenken von dem Kern des Problems ab”, sagte Trittin der “Rheinischen Post”. Der Regelbetrag müsse auf 420 Euro angehoben werden. Trittin fügte hinzu: “Das Modell der Bildungschipkarte hilft nicht. Denn es handelt sich um eine freiwillige Leistung der Kommunen. Das heißt, Städte wie Düsseldorf werden sie zur Verfügung stellen können. In Duisburg und Gelsenkirchen, wo Haushaltsnotlage herrscht, wird dies nicht möglich sein. Hier aber wird sie gebraucht.” Von der Leyen hatte am Montag einen Entwurf zur Neuregelung von Hartz IV vorgelegt. Dabei soll künftig die jährliche Anpassung der Hartz-IV-Bezüge von der Lohn- und Preisentwicklung abhängig sein. Außerdem sollen die Kosten für Internet und die Praxisgebühr zum Existenzminimum von Langzeitarbeitslosen gehören. Konkrete Zahlen sollen erst in einer Woche bekannt gegeben werden.


pr-sozial/dts