Als „Armutszeugnis“ für die Bundesregierung bezeichnete DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Montag in Berlin bekannt gewordene Überlegungen zur Neuregelung der Hartz IV-Regelsätze. „Offenbar will die Bundesregierung das Regelsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts möglichst ,billig’ umsetzen.“ Nicht das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben, sondern die Kassenlage des Bundes scheint hier im Fokus zu stehen. Statt der vom höchsten deutschen Gericht geforderten Transparenz und einer empiriegestützten Ableitung der Sätze gerecht zu werden, werde offenbar so lange gerechnet, bis das politisch gewünschte Ergebnis vorliegt.
Regelsätze, die sich aus einer korrekten Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ergeben, sollen offenbar durch statistische Eingriffe bei der maßgeblichen Referenzgruppe nach unten gedrückt werden. „Wenn nur noch das Konsumverhalten der Allerärmsten der Einkommens-Pyramide berücksichtigt wird und noch nicht einmal ,verdeckt’ Arme und erwerbstätige Hartz IV-Aufstocker aus der Referenzgruppe herausgerechnet werden, treibt man die Hartz IV-Empfänger durch Zirkelschlüsse immer weiter in die Armut“, kritisierte Buntenbach.
Die vorgesehene jährliche Anpassung der Sätze nach einem Mixindex von Preis- und Lohnentwicklung reiche aber nicht aus. Sachgerecht wäre eine reine Kopplung an die Preisentwicklung der regelsatzrelevanten Güter.
Der DGB fordert eine ergebnisoffene, korrekt ermittelte EVS-Auswertung. „Eine unabhängige Sachverständigenkommission sollte dem Gesetzgeber Vorschläge unterbreiten. Hierbei müssen Bedarfsstudien zur Bildung, sozialen Teilhabe und gesunden Ernährung erstellt werden. Erst dann kann über die Frage öffentlich fundiert diskutiert werden, was ein Mensch zum Leben braucht, forderte Buntenbach. Eine bloße EVS-Auswertung sage nichts über den tatsächlichen Bedarf aus, sondern zeige nur das Konsumverhalten innerhalb des Mangels. Wenn das Einkommen nicht reiche, könne bestehender Bedarf – z.B. im Bereich Bildung – auch nicht gedeckt werden.
Die Bedeutung der Regelsatzfestlegung reiche weit über das Hartz IV-System hinaus, unterstrich Buntenbach. „Die Regelsätze und die steuerfreien Grundfreibeträge im Einkommenssteuerrecht sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb werden alle Erwerbstätigen von einer Erhöhung der Regelsätze profitieren. Das zeigt wieder einmal, dass die Interessen der Arbeitslosen und ArbeitnehmerInnen eng beieinander liegen.“
Zudem verenge die Diskussion um den Bildungs-Chip den Blick, betonte Buntenbach. „Die Probleme im Bildungsbereich gehen über Hartz IV hinaus und müssen an einem ‚Runden Tisch Kinderarmut’ besprochen werden – unter Beteiligung aller drei staatlichen Ebenen.“ Statt für einen Chip oder Gutscheine plädiere der DGB für einen Mix aus Geldleistungen und sozialer Infrastruktur rund um Kitas und Schulen.