Erwerbslosenverein Tacheles wirft Hartz IV-Jobcentern in Bayern und Baden-Württemberg vielfachen Rechtsbruch vor

Wuppertal – Harald Thomé, Vorsitzender des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles aus Wuppertal und Referent für Arbeitslosenrecht hat im Juni 2011 bei 135 Jobcentern in Bayern und Baden-Württemberg Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gestellt.
Nach diesem Gesetz hat jeder Bürger einen Anspruch auf Weitergabe von amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Das IFG hat zum Ziel, das Vertrauen zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern zu stärken, indem öffentliches Verwaltungshandeln transparenter und nachvollziehbarer gemacht wird. Soweit die Theorie, die mit der Hartz IV-Realität nicht allzu viel gemein hat.

Harald Thomé hat sich zur Aufgabe gemacht, in Sachen Hartz IV behördliche Verwaltungsanweisungen ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen und somit das Behördenhandeln für Betroffene und deren Berater transparenter zu machen. Der Verein Tacheles hat 2006 bereits in Sachen IFG bundesweit Aufsehen erlangt, weil er gegen die Bundesagentur für Arbeit geklagt und sie dazu gezwungen hat, ihre internen Weisungen zum Arbeitslosengeld im Internet zu veröffentlichen.

Thomé hat im Juni 2011 bei 135 Jobcentern in Bayern und Baden-Württemberg Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt und beantragt, dass diese Verwaltungsanweisungen und Richtlinien zu den Unterkunftskosten, zum Bildungs- und Teilhabepaket, aber auch zur Erstausstattung von Wohnraum und Bedarfen bei Schwangerschaft und Geburt an ihn herauszugeben.
Solche Informationen sind nach dem IFG unverzüglich, spätestens aber innerhalb eines Monats, herauszugeben (§ 7 Abs. 5 IFG). Diese Monatsfrist ist jetzt abgelaufen und die Ergebnisse sind so katastrophal, dass sie veröffentlicht werden müssen:

In Bayern wurden 88 Anträge gestellt, in 58 Fällen wurde überhaupt nicht geantwortet (65,9 %), in 11 Fällen wurden die begehrten Unterlagen vollumfänglich herausgegeben (12,5 %), in 17 Fällen wurden teilweise oder unvollständige Unterlagen herausgegeben (19,3 %) und in 3 Fällen erbaten sich die Job-center eine Nachfrist.
In Baden-Württemberg wurden 47 Anträge gestellt, in 30 Fällen wurde nicht geantwortet (63,8 %), in 13 Fällen wurden die begehrten Unterlagen vollumfänglich weitergegeben (27,6 %), in 4 Fällen wurden teilweise oder unvollständige Unterlagen weitergegeben (8,5 %).

Demnach haben 88 Jobcenter trotz eindeutiger Rechtslage nicht einmal auf die Anfrage reagiert. „Bei 65,1 % der IFG-Anträge sind die Jobcenter ihren gesetzlichen Verpflichtungen auf Informationsweiter-gabe überhaupt nicht nachgekommen. Eine solch niederschmetternde Bilanz von Rechtsmissachtung ist leider bei Hartz IV-Behörden üblich“, resümiert Harald Thomé. „Anderseits haben sich auch einige Jobcenter unverzüglich gemeldet, die begehrten Unterlagen sofort weitergegeben und zuvorkommend verhalten, leider waren das deutlich zu wenige“, so Thomé weiter.

Thomé hat jetzt alle säumigen Jobcenter aufgefordert, bis Monatsende ihren Verpflichtungen nachzu-kommen. Sollte dies nicht erfolgen, wird er die betreffenden Jobcenter der Öffentlichkeit vorstellen und den Bundesbeauftragten für Informationsfreiheit Peter Schaar einschalten. „Wenn das auch nicht auf Resonanz trifft, werde ich die dann noch säumigen Jobcenter verklagen“, kündigt Thomé schon mal an, „denn es kann nicht sein, dass Jobcenter sich nicht geltendes Recht halten oder halten müssen“.

Hintergrund:
• IFG Auseinandersetzung mit der Bundeagentur für Arbeit: http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2006/informationsfreiheitsgesetz-4.html
• Örtliche Richtlinien zum SGB II: http://www.harald-thome.de/oertliche-richtlinien.html
• Infomaterial zum IFG / Link: http://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikationen/Infobroschueren/INFO2.pdf?__blob=publicationFile

Hat das Jobcenter Bochum einen Knall?

Foto:pixelio.de

Foto:pixelio.de

Kommentar von Norbert Hermann – Bochum-Prekaer

Werden „überschiessende“ Wohnungskosten von einem „Sponsor“ übernommen, so soll nach Meinung der ARGE Bochum diese Unterstützung allein auf den von der ARGE zu übernehmenden „angemessenen“ Teil der Wohnungskosten anzurechnen sein. Die ARGE will dann entsprechend weniger zahlen. Die ARGE bezieht sich dabei auf eine angebliche „Richtlinie“ der Stadt Bochum (1).

Das widerspricht sowohl der Rechtslage als auch jeglichem rechtsstaatlichem Denken. Die angegebene „Richtlinie“ ist selbst nach Meinung der Stadt Bochum in weiten Teilen widerrechtlich und soll seit Jahren überarbeitet werden.

Die Rubrik „Frage der Woche“ der ARGE Bochum zeichnet sich aus durch häufige falsche oder unzureichende Darstellungen. Letzteres ist nach Ansicht des BGH auch rechtswidrig.

Seitens der Stadt (Sozial- und Wohnungsamt) und der ARGE wird seit Jahren viel Energie gesteckt in das Bemühen, die Betroffenen um die zustehenden Wohnungskosten zu prellen (3). Allein einen Lichtblick gibt es: im Frühjahr haben es die Bochumer Frauenberatungsstellen erreicht, dass junge Frauen unter 25 Jahren aus der elterlichen Wohn ausziehen dürfen, wenn sie schwanger oder alleinerziehend sind.

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ARGE Bochum: Frage der Woche (1)

Montag, 11. Juli 2011

Frage

Meine Wohnung ist zu groß und zu teuer, also „unangemessen“ – das Jobcenter Bochum berücksichtigt nach 6 Monaten nur noch den angemessenen Teil der Miete. Wenn jetzt ein Verwandter die Mietdifferenz für mich aufbringt, kann ich dann davon ausgehen, dass das Jobcenter weiterhin die „angemessene Miete“ in voller Höhe übernimmt?

Antwort

Nein, das Jobcenter wird in diesem Fall nur noch den ungedeckten Rest Ihrer „angemessenen Miete“ übernehmen.

Ausschlaggebend sind hierbei zwei Grundsätze:

1. Unterkunftskosten werden – nach Ablauf einer Schutzfrist – vom Jobcenter nur in „angemessener“ Höhe berücksichtigt.

2. Grundsicherungsleistungen („Hartz IV“) dürfen nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann.

Die Höhe der „angemessen Miete“ in Bochum ist durch die kommunalen Richtlinien zu den Kosten der Unterkunft (KdU) bestimmt. Zahlt nun jemand anderes einen Teil dieser Unterkunftskosten – ob direkt an den Vermieter oder auf dem Umweg über Sie oder Ihr Konto spielt keine Rolle – dann ist damit ein Teil Ihrer Hilfebedürftigkeit „anderweitig beseitigt“ und das Jobcenter berücksichtigt nur noch den von dem Mietzuschuss des Verwandten nicht gedeckten Rest der angemessenen Miete.

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Quellenangaben:

(1) http://www.jobcenter-bochum.de/Mietuebernahme_durch_Dritte.1039.0.html#c2407

(2) http://www.harald-thome.de/media/files/Kdu2/KdU-Bochum—18.02.2011.pdf

(3) http://www.bo-alternativ.de/Mietgrenzen.pdf

CDU-Grünen „Sozial“ticket-Initiative im VRR ist Mogelpackung

Das von CDU und Grünen im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr beantragte „Sozial“ticket ist eine Mogelpackung. Hartz-IV-Betroffene und große Teile der Armutsbevölkerung werden damit weiter von Mobilität ausgeschlossen und erneut aufs Abstellgleis geschoben. Dazu erklärt Hubertus Zdebel, Landessprecher DIE LINKE. NRW:

„Der VRR will am morgigen Donnerstag auf Antrag von CDU und Grünen die Einführung eines sogenannten ‚Sozial’tickets beschließen, zum Preis von 29,90 €, begrenzt auf das Stadtgebiet, versuchsweise bis Ende 2012. Bei einem Preis von knapp 30,00 Euro hat das mit einem bedarfsgerechten und flächendeckenden Sozialticket, wie es Gewerkschaften und Sozialverbänden fordern, nichts zu tun. Insbesondere Hartz-IV Betroffene werden sich das Ticket nicht leisten können, denn im Hartz IV-Regelsatz sind mal gerade 15 € für den ÖPNV vorgesehen.

DIE LINKE. NRW will einen öffentlichen Nahverkehr, den sich jeder leisten kann. Gemeinsam mit Gewerkschaften und Sozialverbänden fordern wir ein landesweit einheitliches Sozialticket, denn Mobilität endet nicht an den Stadtgrenzen. Diese NRW-Card soll die Nutzung des Nahverkehrs und der kulturellen Angebote von Land und Kommunen in ganz Nordrhein-Westfalen ermöglichen und nicht mehr als 15 Euro kosten. Damit würde Hartz-IV-Bezieher/innen, Niedriglohnverdiener/innen und weiteren Personenkreisen in prekären Lebensverhältnissen erstmals landesweit Mobilität und kulturelle Teilhabe ermöglicht.

Um ein landesweites Sozialticket zu finanzieren, sind – wie von der LINKEN in NRW gefordert – jährlich mehr als 100 Mio. Euro in den Landeshaushalt einzustellen. CDU und FDP im Landtag haben erklärt, dass sie keinen Cent für ein Sozialticket zur Verfügung stellen wollen. Aber auch SPD und Grüne haben offensichtlich kein Interesse daran, ein landesweites Sozialticket einzuführen, denn die von ihnen im Landtag bereitgestellten Landesmittel in Höhe von 30 Mio. Euro pro Jahr reichen hinten bis vorne nicht aus. Dabei raus kommen dann solche Mogelpackungen wie jetzt beim VRR.“