In den JobCentern erhalten die Mitarbeiter_innen für ihre Arbeit bestimmte Vorgaben. Unter anderem gehören sogenannte Sanktionsquoten dazu. Während etliche JobCentermitarbeiter_innen von sich behaupten, so etwas nicht anwenden zu wollen, gibt jedoch solche, denen es Spaß macht, für ihren Dienstherrn Geld einzusparen.
Frau Müllermeier und Herr Schulzschmidt sind Mitarbeiter_innen im JobCenter Friedrichshain-Kreuzberg. Eines Mittags treten sie zeitgleich aus ihren schlauchartigen Arbeitszimmern heraus. Herr Schmidtschulz ruft aufgeregt mit roten Backen: „Bingo Frau Müllermeier! Ich hab wieder einen aus dem Bezug katapultiert! Der letzte Kunde war unsicher, ob er die Arbeit nimmt, die ich anbot. Das war das 3. Mal. Frau Müllermeier gratuliert dem Kollegen überschwänglich: Mensch – toll! Sie haben schon Acht. Wetten, dass Sie die restlichen Zwei diesen Monat auch noch schafen? Dann kriegen Sie den Bonus für die Sanktions quote!“
Hartz IV selbst ist das Problem
Fallmanager_innen in den JobCentern sind objektiv zur Einsparung von Mitteln angehalten. Und die sind im Gesetz verankert. Pleiten, Pech und Pannen sind im Hartz IV-System selbst angelegt. Gleich im § 1 Abs. 1 Sätze 1,4 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB II heißt es:
(1) 1Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. 4Die Leistungen der Grundsicherung sind insbesondere darauf auszurichten, dass 1.durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt, die Dauer der Hilfebedürftigkeit verkürzt oder der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird, (2) Die Grundsicherung für Arbeitsuchende umfasst Leistungen 1.zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit.
Hartz IV ist nicht auf Dauer angelegt, sondern auf das eigene Vermeiden.
Weiterhin bestimmt die Bundesregierung jährlich in den Haushaltsberatungen, wie viel Geld der Bund (hier: die Bundesagentur für Arbeit (BA)) für die Grundsicherung für Arbeit erhält. So besagt § 46 Abs. 1 Sätze 1,4 SGB II u.a.: „Der Bund trägt die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten, soweit die Leistungen von der BA erbracht werden. Eine Pauschalierung von Eingliederungsleistungen und Verwaltungskosten ist zulässig.“ Ebenda besagt Absatz 4, dass die BA vierteljährlich einen Eingliederungsbeitrag zur Vermeidung von Liquiditätshilfen an den Bund abführen soll.
In § 46 Abs. 5 SGB II ist die jährliche Entlastung des Bundes von Kosten der Unterkunft und Heizung (KDU) um 2,5 Mrd. € bestimmt. Der Absatz 8 beinhaltet, dass die Höhe der Leistungen des Bundes an den KDU jährlich festgelegt wird.
Glücksspiel „Existenzmittelstreichung“?
Entsprechend interner Regelungen haben die Mitarbeiter_ innen verschiedene Vorgaben, um Ausgaben der BA einzusparen. Deshalb ging es bisher offensichtlich weniger um die Vergabe von Maßnahmen zur aussichtsreichen, individuellen Eingliederung in Arbeit als um so mehr um das Einsparen von Regelleistungen und Mehrbedarfen, Zuschlägen und Kosten der Unterkunft.
Um diesen Gesetzesanliegen nachzukommen, sind kreative und flexible Mitarbeiter_innen gefragt. Augenscheinliche Missverständnisse, vorsätzliche Unterstellungen und grundlegendes Misstrauen gegenüber den Kund_innen erscheinen als gesetzeskonformes Verhalten. Das erscheint im Verschwinden von Unterlagen, in unverständlichen Bescheiden, ewiger Bearbeitungsdauer von Anträgen/ Widersprüchen, in Falschberechnungen, dem häufigen Vergessen, dass da im Antrag noch Kinder angegeben sind, in unbegründeten Teilbetragsauszahlungen, in der Missachtung gesetzlicher Regelungen wie der Beistandsregelung, im Vorenthalten von wichtigen Infos, dem rechtswidrig schnellen Gebrauch von Hausverboten oder Sanktionen. Und mit den Sanktionen wird eben ganz schnell mal Alg II-Beziehenden die Existenzgrundlage entzogen.
Sanktionskonjunktur spart Arbeitslose
Bundesweit werden ca. 2,5 Prozent aller Alg IIBeziehenden mit durchschnittlichen Kürzungen von 125,- Euro je Monat sanktioniert. Dies ist eine beachtliche Einbuße ihrer Minieinkommen und bringt schwerwiegende Probleme mit sich. Am stärksten betroffen sind diejenigen, denen die komplette Stütze gestrichen wird. Dies waren 2009 126.946 Personen und 2010 131.441 Personen. Im ersten Quartal 2010 wurden ca. 180.000 Sanktionen und Kürzungen der Hartz-IV-Bezüge verhängt – so viel wie nie zuvor.1 Über die Hälfte aller Sanktionen werden zumindest teilweise rechtswidrig erhoben.2 Letztendlich erweisen sich die Sanktionen als Verschiebebahnhöfe. Es werden zunächst Mittel gespart, und dann darauf gehofft, dass die Gestraften sich nicht wehren. Hat jemensch Glück beim Gericht, werden die Leistungen später erbracht. Außerdem kann die BA mit den auf Null Sanktionierten ihre Arbeitslosenstatistik schönen, falls die Leute keine Gutscheine erhalten bzw. beantragen.
Wer nicht spurt, kriegt kein Geld
Das stellt die Berliner Kampagne gegen Hartz IV in ihrer gleichnamigen Broschüre3 fest. Ereignisse wie die Nicht-Ausführung der „Pflichten“ in der Eingliederungsvereinbarung, die Ablehnung einer „zumutbaren“ Arbeit, die Unterstellung, jemensch hätte Anlass für den Abbruch einer Eingliederungsmaßnahme oder eben einer Arbeitsgelegenheit gegeben, banale Meldeversäumnisse oder z.B. das Nichterscheinen zur medizinischen Untersuchung beim ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur können drei Monate lang zu 30- bzw. 10-prozentigen Kürzungen der Regelleistungen führen. Wir fordern eine Streichung des Paragrafen 31 SGB II, weil er die Lebensgrundlagen und die Gesundheit der Bedürftigen zerstört.
Kein Ende der Fahnenstange absehbar
Seit 1.01.2011 gilt eine Verschärfung der Sanktionsregelungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige. Die Regierenden meinen, dass für Hartz IV immer noch zu viel Geld aus dem Bundeshaushalt ausgegeben wird. Die Rettungsschirme für die Banken bezahlen nun die Ärmsten mit gravierenden Strafen.
Wer schützt vor den Fallmanagern?
Wenn es offenbar so schwer ist, den Regierenden Einhalt zu gebieten, dann müssen wir uns selbst schützen: mit Zahltagen, Weitergabe von Infos, Begleitschutz, Beistand, Bandaufnahme, gegenseitiger Aufklärung, Selbsthilfeberatung, Gesprächsnotiz, Hausverbotsabwehr, spontanen Straßenversammlungen vor dem Amt, Teilnahme an SGB II-Seminaren o.ä.. Die Organisation von Selbstschutz vor der Willkür von Fallmanagern ist nur eine Variante.
Sanktionsquotenjäger demaskieren
Neben den Parteigenossen von schwarz. hellblau, gelb, rosa und grün gibt es allerdings auch diejenigen, die die Sanktionsquoten verhängen. Wer sind die begeisterten Spieler? Wo sitzen die willigen Vollstrecker? Wie heißen die hörigen Untertanen? Was sind ihre Motive? Was würden sie sagen, wenn man ihnen den Lohn kürzt oder gar nicht erst zahlt? Schauen wir den JobCenter-Beschäftigten genauer auf die Finger. Machen wir die Mitarbeiter_innen namhaft, die unmenschliches Verhalten zeigen, in dem sie Sanktionen gegenüber „Kund_innen“ verhängen. Berichten wir in Öffentlichkeit, in Organisationen, im Internet und in Zeitungen darüber. Sagen wir es weiter, bei welchem der Mitarbeiter_innen, was passiert.
Tun sich Leistungskürzer_innen beim Sanktionieren besonders hervor, bitten wir Euch, dies uns an folgende E-Mail-Adresse: schischimo7@gmx.de mitzuteilen, uns eingescannte Unterlagen zuzusenden und Eure Erlebnisse zu schildern. Ziel ist eine an Beispielen belegte Dokumentation.
V.i.S.d.P.: Runder Tisch gegen Erwerbslosigkeit und soziale Ausgrenzung, c/o K. Blume, Heidelbeerweg 5, 12526 Berlin.