Wie zu Feudalzeiten

Erfolgreich: Erster Zahltag bei der ARGE Bonn
Von Hans-Detlev v. Kirchbach und Hans-Dieter Hey

Bonn – Seine Gnaden fühlten sich gestört. Umringt von seiner "Kötter-Security"- Leibgarde stand er da wie ein mißgelaunter Feudalfürst, in dessen bislang unumschränktem Herrschaftsbereich sich aufsässiges Volk zusammenrottete. In der Tat – das hatte es zuvor noch nicht gegeben, jedenfalls nicht dort, wo Herr Liminski regiert – der oberste Befehlshaber der Bonner ARGE.
'Hochsicherheitstrakt' ARGE

(Foto: 'Hochsicherheitstrakt' ARGE)

In seinem Imperium, direkt dem kurioserweise so genannten "Bundesministerium für Arbeit und Soziales" gegenüber gelegen, hatte der ARGE-Patriarch bis zu diesem Montag unbehelligt für jene Art von Zucht und Ordnung gesorgt, die er und seinesgleichen dem Hartz-Prekariat gegenüber für unbedingt angemessen halten. Am 4. Mai aber wehte ein sachter Hauch von Demokratie in die ARGE-Trutzburg zu Bonn. Aktivisten vom "Erwerbslosenforum Deutschland", verstärkt unter anderem durch die Initiative "Kölner Erwerbslose in Aktion", hatten vor der ARGE Informationstische aufgebaut, ja sogar die Liminski-Zentrale selbst mit Transparenten verziert. Aufrührerische, gegenüber Herrn Liminski geradezu gotteslästerliche Parolen waren dort zu lesen, gipfelnd im unverhüllten Umsturz-Aufruf: „Schluß mit ARGE(m) Terror in Bonn – Zahltag 4. Mai 2009". Ein unerhörter Vorgang – stand doch bisher über den Toren der Bonner ARGE, unsichtbar, aber für jedes Bonner ARGE-Opfer täglich spürbar, nur das Motto: Die Ihr hier eintretet, laßt alle Hoffnung fahren.

ARGE Bonn: Stammheim light
Dieter Liminski: Mit bösem Blick? Foto: H.D.v. Kirchbach

Schließlich drangen die Aktivistenhaufen sogar in Herzog Graubarts Burg ein, die bis dato als uneinnehmbar galt. Unter den Augen des Patriarchen Liminski bekundeten sie Protest gegen die speziell verschärften Mißstände der Bonner ARGE. Dies, obwohl "Hausherr" Liminski seine angebliche "Sozialbehörde" in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt hatte, mit mindestens dreimal soviel Security wie ohnehin schon an "normalen" Tagen. Schärfer bewacht als die Bonner ARGE an diesem Montagvormittag hätte sich selbst eine mittlere Geheimdienstzentrale oder eine Strafvollzugsanstalt nicht präsentieren können. Und dabei soll HARTZ IV doch nur, wie einmal ein Kritiker formulierte, "offener Strafvollzug" sein. Und es ist wohl nur, so darf mindestens vermutet werden, der öffentlichen Aufmerksamkeit und zeitweisen Medienpräsenz geschuldet, daß die hochherrschaftliche ARGE-Leitung gegen die widersetzlichen Meinungskundgebungen 
(Foto:
Dieter Liminski: Mit bösem Blick?  H.D.v. )

Kirchbachnicht ganz so durchgreifen konnte, wie das zu noch fürstlicheren Zeiten zu erwarten gewesen wäre. So wurde in der demokratiefreien Sonderzone der Bonner ARGE wenigstens für ein paar Stündchen, wenn auch nur ansatzweise und mit sechzigjähriger Verspätung, das sogenannte Grundgesetz eingeführt, zum  Beispiel in Gestalt des Grundrechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit.
Fürsorgliche Informationsverschonung

Zuviel davon wollte Herr Liminski seiner Klientel schon vorab nicht zumuten, und so hatte er nach Ankündigung der "Zahltag"-Aktion sämtliche normalen "Kundentermine" für den Montag gestrichen. Fürsorglich ersparte er den unmündigen Hartz-IV-Kandidaten damit die Kenntnisnahme beispielsweise der für Untertanen der Bonner ARGE nur desorientierenden Flugblatt-Information: "Du hast nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte". Offiziell freilich wurde die Absage des Bonner ARGE-Geschäftstags mit der Vorspiegelung begründet, man wolle sich an diesem Tag speziell der "Beratung" widmen. Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum spottete in einer Ansprache: "Gibt es in der Bonner ARGE also sonst keine Beratung?"

Nur mit Begleitung ‚gut beraten’!

Zwecks Aufbesserung der ARGEn Beratungsqualitäten begleiteten zu allem Überdruß auch noch Sozialberater des Erwerbslosenforums und der KEAs einzelne Klienten zu "Beratungen" in der ARGE. Die meisten aber, die trotz der Absage des normalen Kundenbetriebes gekommen waren, saßen angesichts martialischer Security und des drohend dreinblickenden ARGE-Chefs verschüchtert in der Eingangszone. Einschüchterung, so konnte man von erfahrenen Kennern der Situation erfahren, sei ohnehin eine wesentliche Grundstimmung, die in der Bonner ARGE systematisch erzeugt werde. Auch unter den Bediensteten des Liminski-Imperiums selbst, die nicht wagen, Kritik oder Mißstände nach außen zu kommunizieren. Big Boss Liminski könnte ja so böse reagieren wie er dreinblickt .
Gutsherrenart eben

(Foto: Gutsherrenart eben)

Diese Einschüchterung zu überwinden war denn auch ein wesentliches Ziel dieser Zahltags-Aktion. „Der Sinn ist", so erläuterte Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum, „daß Erwerbslose heute einfach mal zeigen, wir lassen uns nicht alles gefallen, wir unterstützen uns gegenseitig." Kurzum: Solidarität statt Vereinzelung. Dabei gibt es laut Behrsing vor allem ein ehernes Prinzip: „Menschen werden von anderen begleitet, keine Vorsprache mehr allein bei Sachbearbeitern. Das möchten wir betonen, daß bitte niemand mehr alleine in eine Hartz-IV-Behörde geht." Und schon gar nicht in Bonn zu Herrn Liminski.

ARGE-Ärger – Bonner Schikanen

Denn da kann einem schon einiges passieren – Ärgeres noch als sonst in  den ARGEn im Lande. Sind die ARGEn sonst, basierend auf entrechtender Hartz-"Gesetzgebung", ohnehin schon soziale und demokratische Notstandsgebiete, so handelt es sich bei der Bonner ARGE unter der Ägide Liminski geradezu um eine Katastrophenregion nach Totaleinsturz aller demokratischen und sozialen Rechte.
 
Martin Behrsing erläuterte: „Menschen  bekommen oft Monate kein Geld, Anträge werden oft wochenlang nicht bearbeitet, Sachen, die schon längst abgegeben worden sind, müssen immer wieder herbeigebracht werden, weil sie angeblich nicht da sind. Anwälte in Bonn bekommen von der ARGE keine Akten mehr zugeschickt – angeblich wären Akten frisiert worden. Die Kölner Anwaltskammer hat diese Behauptung extrem  scharf zurückgewiesen. Die ARGE Bonn gleicht eher einer Polizeiwache als einer Sozialbehörde, wie keine andere ARGE in Deutschland. Wenn hier jemand etwas lauter wird und auf seinen Rechten besteht, ist die Security sofort da, und dann wird auch schon mal jemand herausgeprügelt. Bei einer Begleitung wurden auch wir hinausbefördert, als wir darauf  bestanden, daß ein Antrag anzunehmen sei, was die ARGE aber verweigerte."

Schluss mit lustig: Um Tod und Leben

Doch es kann noch weitaus dramatischer kommen. Die ARGE hat’s auch drauf, Menschen  in besonders schwierigen Lebenssituationen noch zusätzlich eins draufzusetzen. Ein Schwerkranker, der auf eine Lebertransplantation wartete, mußte für sieben Wochen ins Krankenhaus. „Er hatte gedacht, daß in der Zeit sein Antrag bearbeitet war. Die Folge war: Es war gar nichts passiert. Als Ergebnis hatte er keine Wohnung mehr und auch keine Krankenversicherung und mußte dazu in ein Obdachlosenasyl. Daher kam er sofort von der Transplantationsliste der Bonner Universitätsklinik herunter, weil die hygienischen Bedingungen in Obdachlosenasylen nicht ausreichend sind. Dieser Mensch ist dann, weil er sich keine Medikamente mehr leisten konnte, sehr schwer krank geworden und mußte in der Universitätsklinik notbehandelt werden." Dieses ARGE-Opfer war einst selbst Mitarbeiter eines Sozialamtes; er selbst, so seine bittere Bilanz, hätte nie einen Hilfesuchenden so behandelt. Nun hat er, der selbst "vom Fach" ist, sein Recht mühsam mit Gerichtshilfe durchgesetzt. Wie aber könnte es in Bonn einem ergehen, der noch hilfloser dastünde als er?

 

 

 

 

(Foto: Aus sowas wird sowas)

Und da hört das Scherzen, das einen im Zusammenhang mit den Bonner ARGE-Zuständen ohnehin nur als Galgenhumor überkommt, spätestens auf. Denn hier geht es schlechthin um Tod oder Leben. Wie eigentlich immer im Kapitalismus in seiner sozialdarwinistischen Hartz-Version. So konnte Martin Behrsing der ARGE-Leitung, die sich über die angeblich "körperverletzende" Lautstärke der Musik aus der kleinen Beschallungsanlage der Aktivisten beschwerte, nur entgegenhalten: „Für uns ist Hartz IV eine kontinuierliche Körperverletzung."

Schöne Bescherung: Brötchenverbot
 
Hier werden Menschen schlechter behandelt als Tiere, so war denn gesprächsweise auch von einem "Klienten" zu hören. Da nimmt es nicht wunder, daß in den Räumlichkeiten der ARGE sogar elementare Nahrungsaufnahme verboten ist. Die Aktivisten jedenfalls, die zwei Tische mit Brötchen zur freien Bedienung in die Eingangszone gestellt hatten, wurden mitsamt der zu rechtswidrigen Anschlagsmitteln erklärten Verzehrwaren wieder hinausbefördert. Das Schmieren und Verzehren von Brötchen wollte der "Hausherr" nicht dulden, zu dessen "Hausordnung" ohnehin die Disziplinierung der Armen durch Mangel gehört. Dabei sieht Herr Liminski auf den ersten Blick eigentlich aus wie Santa Claus auf Frühjahrsurlaub. Doch sollte sich davon keiner täuschen lassen. Denn wenn es bei Liminski Bescherung gibt, wird einem nicht einmal der kleinste Brosamen gegönnt. Vielleicht aber muß in Zukunft die Bonner ARGE nach diesem Protest gelungenen Protesttag in ihrer Selbstherrlichkeit ein bisschen kleinere Brötchen backen.

Tiere verboten, Menschen verhackstückt

Vielleicht bezog sich das Verzehrverbot aber auch auf den Wurstaufschnitt. Der könnte nämlich als Verstoß gegen die am Eingang aushängende strikte Vorschrift ausgelegt werden: „Es ist nicht gestattet, daß sich TIERE in der ARGE Bonn aufhalten." Der Bannfluch scheint überflüssig. Denn angesichts des finster dreinblickenden Onkel Liminski und seiner mißgelaunten Security-Garde würde außer Hausmeister Krauses Dackel und anderen trainierten Polizeihunden jedes ARG-lose Haustier von selbst Reißaus nehmen. Eines ist jedenfalls jetzt schon klar: Bei mir hat schon aufgrund des Hausverbots für Tiere Herr Liminski Hausverbot.

Jahrhundertprojekt: Zivilisierung der Bonner ARGE

Freilich scheint dieser erste "Zahltag" nach Kölner Muster in der Bonner ARGE schon einiges bewirkt zu haben, wie etwa Jochen Lubig von den "Kölner Erwerbslosen in Aktion" meinte – allein dadurch, daß er überhaupt stattfand. In den begleiteten "Beratungsgesprächen" habe sich die Tonlage als halbwegs zivilisiert erwiesen. An diesem Tag hatte man, so wie einst der Wolf, in der Bonner ARGE wohl ein bißchen "Kreide gefressen".

Doch wird es wohl erforderlich sein, aus diesem ersten Zahltag eine kontinuierliche Einrichtung zu machen, insbesondere aber, um im Alltag
eine weitgehende Begleitung der Bonner ARGE-"Klienten" sicherzustellen. Notfalls eben mit Musik, von der es am Aktionstag reichlich gab – von Degenhardts "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" bis hin zu – dem imperialen Gestus der ARGE-Leitung eher angemessen – Straussens "Also sprach Zarathustra" und Wagners Walkürenritt.

(FotoBonner ARGE die Meinung gegeigt
Fotos: gesichter zei(ch/g)en
)

Der auch als Violinist bekannte Kölner Rechtsanwalt und Publizist Detlef Hartmann geigte mit seiner Duettpartnerin der schwerhörigen ARGE noch zusätzlich eins vor. Da flogen dem Herrn Liminski die Mozart- Kugeln nur so um die Ohren. Er wird sich wohl darauf einstellen müssen, daß man ihm in Zukunft noch öfter mal die Meinung geigt. Jedenfalls solange, bis die verfassungswidrige Einrichtung hoffentlich bald abgeschafft wird. – Schlussakkord für Liminski! (PK)

mit freundlicher Genehmigung
© 2009
NRhZ-Online – Neue Rheinische Zeitung

Online-Flyer Nr. 196  vom 06.05.2009
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