Jobcenter: Bürgerfreundlichkeit ist anders!

Warteschlange am Jobcenter

Warteschlange am Jobcenter

 

Bündnis rief zum Zahltag auf

Bonn – Ein Bündnis aus Erwerbsloseninitiativen und Mitgliedern der Linkspartei hatten heute am Bonner Jobcenter zu einem „Zahltag“ aufgerufen. „Zahltag“ hat sich mittlerweise als Aktions- und Protestform etabliert, um Erwerbslose im Amt solidarisch zu begleiten damit berechtigte Ansprüche durchgesetzt werden können, was oftmals einem Betroffenen alleine nicht gelingt. Die Bonner Hartz IV-Behörde scheint diese Aktionsform des Protests überhaupt nicht zu mögen und sorgte heute für ein zusätzliches Aufgebot an Sicherheitsmitarbeitern. Zudem mussten sich die Menschen in eine lange Schlange auf dem Bürgersteig einreihen, weil es nur Einzeleinlass gab. Selbst Mütter mit Kleinkindern mussten so draußen warten. Die Mitglieder des Bündnisses betrachteten das Verhalten des Jobcenters als bewusste Provokation, um die Wartenden gegen die Protestierenden aufzuwiegeln, was aber nicht gelang.

Trotz der verschärften Bedingungen nahmen viele der Betroffene das Angebot der  solidarischen Begleitung und Beratung an und führten den „Zahltag“ zum Erfolg. Die lange Schlange auf dem Bürgersteig kommentiere ein Passant mit: „Bürgerfreundlichkeit ist anders!“

Das Erwerbslosen Forum Deutschland wirft der Bonner Politik vor, dass sich trotz ihrer größeren Einflussnahmemöglichkeiten nach der Jobcenterreform 2011 und dem bekundeten Willen nach Verbesserungen, sich die Verhältnisse in der Hartz IV-Behörde drastisch verschlechtert hätten. „Zunehmend erfahren wir von wochen- bis monatelangen Verschleppungen von Anträgen auf die überlebenswichtigen Hartz IV-Leistungen. Das endet dann im finanziellen Desaster und einem Spießrutenlaufen“, so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

Der Umgang einiger Mitarbeiter mit Hartz IV-Betroffenen ist schikanös, Menschen mit Migrationshintergrund klagen immer öfter über schlechte Behandlung und falsche Bescheide. So kommt es beispielsweise vor, dass Kinder in Familien nicht mitberechnet oder nicht nachvollziehbare Kürzungen und Anrechnungen vorgenommen werden. Wir sehen eine Zunahme von zum Teil sehr willkürlichen Sanktionen, die in den allermeisten Fällen zu unrecht erfolgen. In vielen Fällen konnte unsere Beratungsstelle hier hilfreich zur Seite stehen“, sagte Behrsing. Das Erwerbslosen Forum bietet neben seinem Onlineangebot auch eine Sozialrechtsberatung in Bonn an, die immer gut besucht ist.

Erfreuliches: In einem Fall konnte heute erreicht werden, dass für ein vier Monate altes Baby nunmehr Leistungen ausbezahlt werden. Der junge Vater war schon ziemlich verzweifelt und glaubte kaum noch, dass er jemals für sein Kind Hartz IV-Leistungen erhält. Auch die anwesende Polizei zeigte Verständnis und Interesse am Anliegen der Demo und nahm freundlich die Infos entgegen. „Mich interessieren die Anliegen der Bürger sehr“, so ein anwesender Polizist.

mb

Jobcenter versenden bundesweit rechtswidrige Bescheide

 Foto: pixelio.de/Matthias Balzer

Foto: pixelio.de/Matthias Balzer

Vorsorgliche Androhung der Leistungseinstellung

Bonn – Das Erwerbslosen Forum Deutschland fordert die Bundesagentur für Arbeit (BA) erneut auf, Bescheide von Jobcentern zu unterbinden, die Leistungsbezieher und besonderes deren Familien „Quasisippenhaft“ androhen, wenn sich einzelne Menschen nicht so verhalten, wie es eine Behröde haben will. So erhalten derzeit Hartz IV-Bezieher Leistungsbescheide, indem vorsorglich schon mal angedroht wird, dass ein zukünftiger weiterer Leistungsbezug für den Hartz IV-Bezieher und auch deren Familie davon abhänge, ob die Betroffenen irgendwelchen unbestimmten und vagen Verpflichtungen nachkommen. Wie diese Verpflichtungen allerdings zu erfüllen sind kann den Bescheiden nicht entnommen werden. „Wir betrachten solche Bescheide als Erpressung der Hartz IV-Bezieher und einen Freifahrtschein für Jobcenter für das Umgehen aller gesetzlichen Bestimmungen. Die BA und das Bundesarbeitsministerium fordern wir auf die Verwendung derartiger Textbausteine zu verbieten und dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter die gesetzlichen Bestimmungen einhalten“, so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

So heißt beispielsweise in einem Leistungsbescheid des Landkreises Dahme-Spreewaldes: […]„Leistungen werden nur dann weitergewährt, wenn Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten alles unternehmen, Ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden. Das heißt beispielsweise, dass Sie – sich intensiv um einen existenzsichernden Arbeitsplatz bemühen – sich aktiv an allen Maßnahmen beteiligen, die dieses Ziel unterstützen – Ihren Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung nachkommen, – der Einladungen des Jobcenters folgen.“[…] (*) Dieser Textbaustein wird inzwischen in zahlreichen Jobcenter in Deutschland verwendet, ohne dass es dazu eine rechtliche Grundlage gibt.

Höchstrichterliche Entscheidungen zählen nichts mehr?

„Beim Lesen eines solchen Schreibens fragt man sich, warum der Gesetzesgeber eigentlich ein so umfangreiches Sanktionssystem für Hartz IV-Bezieher geschaffen hat und die Bundesregierung diese erst im April erneut verschärft hat, wenn Jobcenter es sich so einfach machen können. Hier hängt es dann tatsächlich vom Goodwill eines Sachbearbeiters ab, ob jemand seine Möglichkeiten genutzt hat. Was er alles erfüllen muss bleibt völlig offen. Genau aber das ist höchstrichterlich den Jobcentern inzwischen mehrfach auferlegt worden“, so Behrsing weiter.

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Neue Masche der Jobcenter: Schon mal vorsorglich Sippenhaft androhen?

Bonn – Das Erwerbslosen Forum Deutschland fordert die Bundesagentur für Arbeit (BA)I auf Bescheide von Jobcentern zu unterbinden, die Familien „Quasisippenhaft“ androhen, wenn sich einzelne Menschen nicht so verhalten, wie es eine Behröde haben will. So versendet beispielsweise das Jobcenter Landkreis Dahme-Spreewald einer Familie einen Leistungsbescheid, indem vorsorglich schon mal angedroht wird, dass ein weiterer Leistungsbezug für die ganze Bedarfsgemeinschaft davon abhänge, ob die betroffenen Eltern irgendwelchen unbestimmten und vagen Verpflichtungen nachkommen. Wie diese Verpflichtungen allerdings zu erfüllen sind kann dem Bescheid nicht entnommen werden. „Wir betrachten solch einen ‚Bescheid als Erpressung der Hartz IV-Bezieher und einen Freifahrtschein für Jobcenter für das Umgehen aller gesetzlichen Bestimmungen. Die BA und das Bundesarbeitsministerium fordern wir auf die Verwendung derartiger Textbausteine zu verbieten und dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter die gesetzlichen Bestimmungen einhalten“, so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

Felix Z. (Name geändert) wandte sich heute an das Erwerbslosen Forum Deutschland, nachdem er einen neuen Leistungsbescheid über Hartz IV für sich und seine Familie erhalten hatte. Wörtlich heißt es dort: […]„Leistungen werden nur dann weitergewährt, wenn Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten alles unternehmen, Ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden. Das heißt beispielsweise, dass Sie – sich intensiv um einen existenzsichernden Arbeitsplatz bemühen – sich aktiv an allen Maßnahmen beteiligen, die dieses Ziel unterstützen – Ihren Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung nachkommen, – der Einladungen des Jobcenters folgen.“[…] (*)

Höchstrichterliche Entscheidungen zählen nichts mehr?

„Beim Lesen eines solchen Schreibens fragt man sich, warum der Gesetzesgeber eigentlich ein so umfangreiches Sanktionssystem für Hartz IV-Bezieher geschaffen hat und die Bundesregierung diese erst im April erneut verschärft hat, wenn Jobcenter es sich so einfach machen können. Hier hängt es dann tatsächlich vom Goodwill eines Sachbearbeiters ab, ob jemand seine Möglichkeiten genutzt hat. Was er alles erfüllen muss bleibt völlig offen. Genau aber das ist höchstrichterlich den Jobcentern inzwischen mehrfach auferlegt worden“, so Behrsing weiter.

Dem Erwerbslosen Forum Deutschland liegen noch keine Erkenntnisse darüber vor, ob solche Schreiben eine neue Masche der BA sind oder ein Eigenprodukt des Jobcenters Dahme-Spreewald ist. Jedenfalls hätte ein solcher Bescheid vor keinem Sozialgericht Bestandskraft, sorge aber für unnötige Aufregung bei Hartz IV-Beziehern.

Der Landkreis Dahme-Spreewald ist durch eine besonders hohe Arbeitslosigkeit geprägt und das macht die Sache für Betroffene besonders pikant.

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Hartz IV: 70 Prozent aller Sanktionen ungerechtfertigt

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Bonn – Im Jahr 2010 wurden 828.300 Sanktionen gegenüber Hartz IV-Beziehern ausgesprochen. Im Jahresdurchschnitt waren 136.000 Menschen von mindestens einer Sanktion betroffen. Das teilte die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/6833) am Donnerstag auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion (17/6519). Der häufigste Grund für Leistungskürzungen waren Meldeversäumnisse (61 Prozent), gefolgt von der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen oder deren Pflichten nachzukommen (18 Prozent), sowie der Weigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit anzunehmen (14 Prozent). Das Erwerbslosen Forum Deutschland wirft der Bundesregierung und den Jobcentern blinde Sanktionswut vor, denn immerhin waren 42 Prozent aller eingelegten Widersprüche und fast 60 Prozent der eingereichten Klagen erfolgreich.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland:

„Die Bundesregierung Jobcenter betreiben blinde Sanktionswut gegenüber Hartz IV-Beziehern, obwohl sie wissen, dass in 70 Prozent der ausgesprochenen Fälle die Sanktionen rechtswidrig waren. Die Gründe dafür sind hausgemacht: schlecht ausgebildete Mitarbeiter und oftmals chaotische Organisation in den Jobcentern.

Aber leider müssen wir auch feststellen, dass bei 828.300 Sanktionen nur in etwa ein Drittel (66.685) der betroffenen Personen einen Widerspruch eingelegt hatten. Geklagt hatten aber leider nur wenige Menschen (6.935), obwohl deren Chancen bei den Sozialgerichten überdurchschnittlich hoch gewesen wären. Durch die im April eingeführten Gesetzesverschärfungen hat die Bundesregierung nochmals die Hürden der Gegenwehr ohne jede Grundlage erhöht.Hinzu kommen die wesentlich härten Sanktionen gegen unter 25-Jährige. Denen werden schon beim ersten Pflichtverstoß 100 Prozent die Leistungen gekürzt. Die Begründung der Bundesregierung dazu ist völlig grotesk, wenn die schärferen Sanktionen gegenüber jungen Menschen damit verteidigt werden, dass dies Ausdruck des gesetzgeberischen Willens sei, Jugendliche an den entscheidenden Stellen des Übergangs von Schule in Ausbildung und von Ausbildung in Arbeit intensiver als andere Personengruppen zu unterstützen und sie zu motivieren (17/6833 S. 13). Ich bezeichne so etwas als schwarze Pädagogik.“

Schwangere Hartz IV-Bezieherin: Linksfraktion fordert in offenen Brief an OB Nimptsch Aufklärung

Hannelore Tölke, Stadtverordnete der Linksfraktion Bonn

Hannelore Tölke, Stadtverordnete der Linksfraktion Bonn

Bonn – Zur Streichung der Leistungen einer jungen schwangeren Bonnerin durch das Jobcenter erklärt Hannelore Tölke, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bonner Stadtrat:

Die Linksfraktion Bonn hat sich heute mit einem offenen Brief an Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch gewandt. Darin fordert sie den OB zur Aufklärung im Fall einer jungen schwangeren Bonnerin auf, der zum 1.
August alle Leistungen durch das Jobcenter gestrichen wurden, weil sie angeblich ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen war.

Die hochschwangere Frau hatte einen Termin beim Bonner Jobcenter nicht wahrgenommen, weil ihr Arzt Bettruhe verordnet hatte und dies auch attestierte. Die Stellungnahme der Stadt im Artikel des Bonner General Anzeigers vom 16.08.2011 („Jobcenter streicht Schwangerer das Geld“) hatte bei der jungen Frau und in unserer Fraktion erhebliche Irritationen ausgelöst, weil das städtische Presseamt anscheinend ungeprüft Aussagen des Jobcenters wieder gegeben hatte, die nach Kenntnisstand der Linksfraktion nicht den Tatsachen entsprechen. Inzwischen wurde der Fraktion bekannt, dass das Jobcenter im sozialgerichtlichen Eilverfahren die Ansprüche anerkannt hat und den Entzug der Leistungen nach Prüfung der
Sach- und Rechtslage zurückgenommen hat.
Tatsächlich hatte das Jobcenter schon seit April Kenntnis über die Schwangerschaft. Aus einem der Fraktion vorliegendem Leistungsbescheid des Jobcenters vom 11. April geht eindeutig hervor, dass die junge Frau bereits im April einen Mehrbedarf für werdende Mütter zuerkannt bekommen hatte. Es ist auch nicht zutreffend, dass die Frau sechsmal ohne eine Entschuldigung nicht zu Terminen im Jobcenter erschienen war, da auch hier Krankmeldungen vorlagen.

Die Linksfraktion fordert nun den OB auf, die Stellungnahme der Stadt richtig zu stellen und sich persönlich der Angelegenheit anzunehmen. Der werdenden Mutter wurden mit Wirkung zum 1. August alle Leistungen gestrichen. Völlig unnötig wurde sie einem Stress ausgesetzt, der weder der Gesundheit der Mutter noch dem Schutz des ungeborenen Lebens zuträglich ist. Darüber hinaus muss eine Richtigstellung durch das Presseamt und eine Entschuldigung bei der werdenden Mutter erfolgen.

Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Hannelore Tölke, erklärt hierzu: „Dieser Fall – aber auch die vielen anderen – macht deutlich wie wichtig die politische Kontrolle des Jobcenters ist. In diesen Zusammenhang hatte es die Linksfraktion begrüßt, dass man einen Vertreter der Linksfraktion zu den Vorbesprechungen der Trägerversammlung des Jobcenters eingeladen hatte, inzwischen aber wieder ausgeladen hat, weil die Fraktion der CDU Druck ausgeübt hatte und keinen Vertreter der Linksfraktion dabei haben wollte. Transparenz und kritisches Begleiten des Jobcenters sind so zumindest sehr eingeschränkt“.

Kontakt / V.i.s.d.P:
Hannelore Tölke, Stadtverordnete der Linksfraktion Bonn c/o Linksfraktion Bonn, Altes Rathaus, Am Markt, 53111 Bonn

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