Götz Werner – ein Rattenfänger mit dem Evangelium für die Schwachen im Geiste

Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/6/66/G._Werner_2007.jpg

Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/6/66/G._Werner_2007.jpg

von Dr. Gero Jenner

Gleich einer der ersten Sätze aus dem 1000-Euro Buch ist entlarvend: Er wendet sich an die Halbgebildeten und solche, die es noch werden wollen. „Die erste Überlieferung einer Trennung von Arbeit und Einkommen findet sich in der Verfassung Spartas“ (S. 21). Jawohl, da wurden in einem Staat, schlimmer als die Gaddafi-Diktatur, Arbeit und Einkommen in der Tat sehr strikt getrennt. Mit unerbittlicher Härte niedergehaltene und ausgebeutete Untermenschen, die nahezu rechtlosen Heloten, durften die ganze Arbeit für die Herrenmenschen verrichten. Diese kamen dadurch in den Genuss eines bedingungslosen Grundeinkommens, von dem sie sehr bequem leben konnten.

Ich will Herrn Werner nicht unterstellen, dass er ähnliche Zustände für Deutschland herbeisehnt, aber es ist keine Unterstellung, wenn man zu ähnlichen Schlüssen gelangt, sobald man seine betörende Vision im Hinblick auf ihre Folgen und Voraussetzungen analysiert. Denn irgendwer muss das bedingungslose Grundeinkommen ja bezahlen! Wer es als Arbeitsloser bezieht, kommt dafür natürlich von vornherein nicht in Frage. Die Vermögenden aber auch nicht. Denn Werner will „auch nicht [die übermäßigen] Vermögen abschaffen,“ zumal im Grunde „sein [eigener] Reichtum allein ein virtueller ist“ (S. 246). Dass aus diesem virtuellen Reichtum ein ganzer realer und gewaltiger Zinsstrom fließt: leistungsloses Einkommen, erwirtschaftet durch die Heloten unten an der Basis, wird mit keinem Worte erwähnt.

 

Wer bleibt also als Lastesel übrig, um die schöne Neue Welt der Wernerschen Vision zu finanzieren? Wer sind für ihn die Heloten unserer Zeit? Das sind all jene Menschen, die heute noch eine Arbeit haben, vor allem der Mittelstand – Menschen, die immer härter arbeiten müssen und immer stärker zur Kasse gebeten werden, und deren Zahl zudem in stetem Rückgang begriffen ist.

Herr Werner ist ein Charismatiker der halben und allzu einfachen Wahrheit. So sieht er denn auch das Ende der Erwerbsarbeit nahen, wo wir alle nur noch ehrenamtliche Tätigkeiten verrichten. Er verrät uns nicht, wer dann noch das bedingungslose Grundeinkommen finanziert. Aber stimmt denn die von Jeremy Rifkin entlehnte Behauptung, dass wir in Zukunft zwangsläufig mit immer weniger bezahlter Arbeit zu rechnen haben?

Ja, sie stimmt, wenn man die Hauptursache für diesen Abbau, die neoliberale Politik der zwei vergangenen Jahrzehnte, auch in Zukunft weiter verfolgt. Für Deutschlands große Anleger lohnt es sich nicht länger, in unserem Land produzieren zu lassen. Die Renditen sind zu gering, weil die deutschen Beschäftigten nun einmal einen angemessenen Anteil am volkswirtschaftlichen Kuchen verlangen. Die reichsten Deutschen investieren ihr Geld lieber in Billiglohnländer. Dort sind die Heloten gefügiger. Wenn die reichsten fünf Prozent aber dennoch bereit sind, zu Hause zu investieren, dann sollen die Löhne möglichst niedrig, die Einkommen aus investiertem Kapital dagegen so hoch wie nur möglich sein. So wurde die Produktion um jeden Preis automatisiert und Arbeitsplätze verdrängt.

Doch das Hauptübel liegt nicht einmal in dieser Automation, viel davon ist echter technologischer Fortschritt. Das Hauptübel liegt in den hohen Zins- und Dividendenansprüchen des Geldkapitals und dem unablässigen Druck, das letzteres auf die Unternehmen ausübt, um deren Aktienkurse zu steigern und damit die Ansprüche auf steigende Renditen zu erfüllen. Dieser Druck sorgt dafür, dass ein gewaltiger Strom aus leistungslosem Einkommen die Vermögen der oberen fünf Prozent zu phantastischen Proportionen aufblähen konnte. Genau deswegen bleibt für die Heloten eben auch immer weniger übrig. Dies sind die Tatsachen, die Herr Werner, dieser unermüdliche Lobbyist des großen Geldes, geflissentlich unterschlägt.

Immerhin gibt es andere, die auch dieser Schicht zugehören, aber keine Hemmungen haben, solche Wahrheiten ungeschminkt auszusprechen. Den Millionären, die ihr Geld bei der Deutschen Bank anzulegen bereit sind, versprach Herr Ackermann eine Rendite von 25%. Im Unterschied zu Herrn Werner, der sich selbst wegen seines leider nur virtuellen Vermögens zu bemitleiden scheint, macht der Bankgewaltige gar kein Hehl daraus, dass er einen gewaltigen Strom aus leistungslosem Einkommen kreiert. Das ist nicht nur ein bedingungsloses Einkommen für Superreiche, sondern es ist noch dazu eines, das sich selbst unablässig vermehrt: aus sehr viel Geld wird immer noch mehr und mehr Geld. Unsere soziale Marktwirtschaft, die sich einst rühmte, die Leistung und nur diese zu honorieren, ist inzwischen weitgehend umgepolt. Wer zu der kleinen, aber ökonomisch und politisch tonangebenden Schicht von Hochprivilegierten gehört, über dem schüttet sie ihr Himmelsmanna von bedingungs- und leistungslosem Einkommen aus. Kein Wort zu diesen Fakten finden wir in dem geschwätzigen 1000-Euro Buch von Herrn Werner.

Die Vision eines bedingungslosen Einkommens für alle Menschen ist schön. Ich glaube auch, dass Herr Werner im Recht sein könnte, wenn er meint, dass aus ihrer Verwirklichung keine Schmälerung der Leistungsbereitschaft hervorgehen muss. Meiner eigenen in Wohlstand und Armut vertretenen Auffassung, die in wenig gefälliger Art die Gewährung einer Grundsicherung von der Bedürftigkeit abhängig macht, werde ich diese schöne Idee als Alternative entgegenstellen. Sie hat es zumindest verdient, versuchsweise eingeführt zu werden. Allerdings nur, wenn man auch klipp und klar den Lastesel nennt, der für die Idee zahlen soll. Herr Werner selbst zieht es ja vor, in diesem Punkt nebelhaft oder unseriös zu werden. Nebelhaft wird es, wenn er behauptet, man dürfe das Problem nicht auf Geld reduzieren, sondern müsse die Güter sehen, um die es dabei ja letztlich gehe. Ja, sollen wir denn seinetwegen wieder in die Steinzeit zurück marschieren? Heutzutage werden sämtliche wirtschaftlichen Transaktionen in Geld berechnet und sichtbar gemacht. Wenn die Mittelschicht zum eigentlichen Lastesel für die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens wird, dann nützt es ihr wenig, dass man ihren Beitrag an den von ihr für andere produzierten Güter bemisst statt an dem Geld, das sie dafür zur Verfügung stellt. Beides läuft auf ein und dasselbe hinaus.

 

Wenn Herr Werner einmal auf die großartig ausladende Geste verzichtet und von der Nebulosität zum konkreten Argument übergeht, dann wird er leider auf der Stelle unseriös. Die Einkommenssteuer will er durch eine entsprechend erhöhte Mehrwertsteuer ersetzen, die dann die Finanzierung des Grundeinkommens ermöglicht. Aber für die Mehrwertsteuer kommen vor allem die Ärmsten und die Mittelschicht auf, also jene, die den größten Teil ihrer Einkommen konsumieren. „Man kann davon ausgehen, dass Reiche auch mehr konsumieren, also werden sie auch mehr Steuern zahlen“ (s. 245). Herr Werner, der so gern große Namen zitiert, um sich in ihrem Lichte zu sonnen, sollte wissen, dass schon Keynes diese Behauptung als unwahr entlarvte. Relativ am wenigsten werden jene durch die Mehrwertsteuer belastet, die so viel Einkommen und Vermögen besitzen, dass sie nur einen Bruchteil davon für den Konsum verwenden.

 

Ja, das bedingungslose Grundeinkommen ist eine betörend schöne Idee. Wenn eine Vermögenssteuer dafür sorgen würde, dass die Geldmassen in den Händen der oberen fünf Prozent auf einen individuellen Betrag zusammengestutzt werden, der für einen stark gehobenen – meintwegen auch sehr luxuriösen – Konsum während ihrer ganzen Lebenszeit ausreicht (denn Leistung ist selbstverständlich zu honorieren), dann würden so gewaltige Mittel zusammenkommen, dass die schöne Idee leicht finanzierbar wäre. Herr Werner braucht also nur über den eigenen Schatten als einer der reichsten Deutschen zu springen, indem er sich zum Fürsprecher eine solchen Lösung macht, um nicht in den Verdacht der Scheinheiligkeit zu geraten. Zumindest würde man ihm dann lautere Absichten zuerkennen.

 

Doch selbst dann ergeben sich Schwierigkeiten. Nehmen wir an, dass es gelänge, die großen Vermögen für diesen Zweck abzuschmelzen. Gehen wir noch einen Schritt weiter, indem wir einen – in meinen Augen keineswegs wünschenswerten – Zustand betrachten, wo alle die vorhandene Arbeit teilen und ziemlich das gleiche Einkommen beziehen. Also ein Staat der blauen Kittel, wie er unter Mao zeitweise existierte. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde unter dieser Voraussetzung offenbar seinen Sinn einbüßen, denn jeder würde es dann ja mit eigener Arbeit für sich selbst bezahlen. Er würde mit der linken Hand geben, was er mit der rechten genommen hätte. Selbstverständlich würden die Menschen alsbald zu dem Schluss gelangen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nur den Bedürftigen gewährt werden sollte. Mit anderen Worten, würde man genau dort ankommen, wo man heute schon ist: bei einer bedarfsabhängigen Grundsicherung. Herr Werner, dieser grandiose Vereinfacher, hat schlicht übersehen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nur dort einen Sinn ergibt, wo eine große und wachsende Kluft zwischen Arm und Reich existiert.

 

Lesen Sie auch: Gegen die Grund-Ab-sicherung der Privilegierten, für eine Grundsicherung in sozialer Verantwortung

BA: Hartz IV-Erhöhung kann nun ausgezahlt werden

Nürnberg – Nach heutiger Veröffentlichung der Hartz-IV-Reformen im Bundesgesetzblatt ist laut Bundesagentur für Arbeit (BA) auch die Grundlage für die Auszahlung der neuen Regelsätze gegeben. Um die zeitnahe Auszahlung des erhöhten Arbeitslosengeldes II rückwirkend zum Jahresbeginn zu gewährleisten, hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) bereits am vergangenen Wochenende die erforderlichen Umstellungsarbeiten vorgenommen.

3,5 Millionen Bedarfsgemeinschaften werden planmäßig am 31. März zwei Überweisungen erhalten: Die Regelleistung für den Monat April und die Nachzahlung für den erhöhten Regelsatz für die Monate Januar bis einschließlich April. Die Nachzahlungen wurden von der laufenden Monatsüberweisung abgekoppelt, um die Vielzahl an Buchungsvorgängen technisch zu entzerren. Außerdem werden automatisch Änderungsbescheide versandt.

Aufgrund der zeitlichen Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren kann es allerdings in einigen Fall-Konstellationen bei der Auszahlung der Nachzahlung zu Verzögerungen kommen, da die Berechnung und Umstellung wegen noch offener Fragen nicht automatisiert erfolgen konnte. Seit Jahresbeginn gab es in zahlreichen Einzelfällen leistungsrelevante Änderungen oder Anpassungen. So stehen Anhörungen aus (zum Beispiel zur Ermittlung von Einkommen und Vermögen) oder es konnte über Weiterbewilligungsanträge noch nicht entschieden werden, weil Unterlagen noch nicht vorliegen. In diesen Fällen wird die Auszahlung manuell durch die Jobcenter veranlasst und dadurch die Überweisung der Differenz zwischen alten und neuen Regelsätzen von Januar bis April zeitnah sichergestellt.

Kurzübersicht über die anstehenden Verschärfungen bei Hartz IV

Ziel: Systematische Bedarfsunterdeckung

von c/o Norbert Hermann, Unabhängige Politik- und Sozialberatung Bochum

1. Sanktionen: Kürzungen unter das Existenzminimum werden erleichtert. Eine vorherige Androhung ist nicht mehr erforderlich. Verstöße gegen per Verwaltungsakt auferlegte Pflichten können nun sanktioniert werden. Auch schlechtes Verhalten ist sanktionierbar. Sanktionen müssen nicht mehr umgehend verhängt werden, sondern in einem Zeitraum von bis zu Monaten nach Verstoß (§ 31 I 1). Kürzungen von mehr als 100 % sind möglich, auch in Zusammenhang mit Darlehenstilgungen.

2. Darlehen, auch bereitgestellte Mietkautionen, werden mit 10 Prozent des Regelbedarfs getilgt (bislang max. 10 %; Kautionen wurden bislang gar nicht getilgt, sondern bei einer Beendigung des Mietverhältnisses zurückgezahlt). Darlehen können an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, auch die Kinder, gemeinsam gewährt werden. Zur Darlehenstilgung werden sie dann gesamtschuldnerisch herangezogen. Dadurch entsteht über Jahre eine Bedarfsunterdeckung. Darlehen werden nun überhaupt nur gewährt, wenn alle Rücklagen, auch für notwendige Anschaffungen, aufgebraucht sind (§ 42a).

3. vorläufige Zahlungseinstellung: bei Vermutung von zu erwartendem anrechenbaren Einkommen kann die Leistung sofort gekürzt/ eingestellt werden (§ 39 II Z. 4).

4. Überzahlungen der Vergangenheit können sofort mit 10 bis 30 % des Regelbedarfs einbehalten werden. Bislang musste das erst nach Beendigung der Hilfebedürftigkeit erstattet werden, wenn kein schuldhaftes oder grob fahrlässiges Verhalten vorlag. Dadurch kann eine erhebliche Bedarfsunterdeckung entstehen (§ 43 I).

5. Pflicht zur Rücklagenbildung: ALG II und Sozialgeld enthalten einen Anteil für Anschaffungen (Hausrat, Waschmaschine, Herd …) iHv derzeit 52 Euro (Single). Wird das nicht für solche Fälle zurückgelegt, kann das einbehalten werden (§ 20 I 4 iVm § 24 II).

6. Mietgrenzen: die Wohnungskosten werden im Wesentlichen von den Kommunen getragen. Bislang galt hier die Rechtsprechung des BSG. In Zukunft können die Kommunen durch eigene Satzung die Kosten deckeln (§ 22a+b). Zu befürchten ist eine Festlegung „nach Kassenlage“, und die ist bekanntlich schlecht. Fehlbeträge müssen aus dem Regelbedarf gedeckt werden. Verbesserung: auch nicht notwendige Umzüge können nun genehmigt werden (Begründung zu § 22 IV 2).

7. Leistungsnachzahlungen aus Überprüfungen unrechtmäßiger Bescheide der Vergangenheit: bislang konnte vier Jahre rückwirkend überprüft werden, jetzt nur noch ein Jahr (+ jeweils das bereits angefangene Jahr – § 40 I 2).

8. generelle Antragserfordernis (§ 37 I+II): bislang wurden einmalige Beihilfen (z.B. Wohnungserstausstattung, Schwangerschaft, Geburt, jetzt auch therapeutische Schuhe und Geräte (§ 24 III), Klassenfahrten und jetzt auch Schulausflüge, Schülerbeförderung, Nachhilfe, Mittagessen, Sport und Kunst (§ 28 I + VI-VII), bei Kenntnis der Behörde automatisch gewährt. Hier besteht nun Antragserfordernis, es wird nicht rückwirkend geleistet, das Geld fehlt dann. (Ausnahme: das Schulbedarfsgeld 70 Euro, 1- Hj. und 30 Euro, 2. Hj. wird automatisch gezahlt – § 28

III). Anträge können formlos gestellt werden. Eine Empfangsbestätigung ist wichtig. Genehmigungen der Behörde haben nur in Schriftform Gültigkeit.

Weitere finanzielle Härten:

9. „Armutsgewöhnungszuschlag“ entfällt: wurde bislang beim Übergang vom ALG I ins ALG II gewährt (Single max. 160 Euro im 1. Jahr und 80 Euro im zweiten Jahr).

10. Elterngeld: bislang anrechnungsfrei; wird nun idR komplett angerechnet. (Beides bereits im „Haushaltsbegleitgesetz aus 11/2011 geregelt)

11. Die Honorierung für Tagesmütter und –väter ist nicht mehr anrechnungsfrei, sondern wird in Zukunft voll angerechnet (abzüglich der Kosten – § 11 III 2).

12. Das sog. „Pflegekindererziehungsgeld“ wird in Zukunft in höherem Maße angerechnet (§ 11 III 2). 13. Aufwandsersatz für Ehrenamt, politisches Amt und für in Sportvereine und Volkshochschulen nebenberuflich Unterrichtende wird zwar in begrenzter Höhe (175 Euro mtl.) nicht angerechnet, der Grundfreibetrag iHv 100 Euro monatlich bei Erwerbstätigkeit entfällt dann aber in Zukunft (11b II 3).

14. Rentenbeiträge werden nicht mehr gezahlt. Das schadet zwar weniger den Einzelnen, fehlt aber in der Rentenkasse. Hierdurch und durch die extrem niedrigen Krankenkassenbeiträge werden Kosten der Arbeitslosigkeit den Sozialkassen aufgebürdet. Zuschüsse zur Altersvorsorge für nicht Versicherungspflichtige werden ebenfalls gestrichen.

15. Der Krankenversicherungsschutz fällt weg, wenn Auszubildende ohne ALG II-Anspruch Mehrbedarfe und Wohnungskostenzuschuss erhalten (§ 27 I).

16. Behinderte „Kinder“ ab dem 25 Lj. im Haushalt der Eltern erhalten willkürlich nur noch 80 % der Regelleistung.

Sonstiges:

17. Hausarrest für alle: entgegen der bisherigen Regelung dürfen Schulkinder ab dem 15. Lj. und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nicht mehr entsprechend der Ferien- oder tariflichen Urlaubsregelung ortsabwesend sein, sondern „ohne wichtigen Grund“ wie alle anderen maximal drei Wochen (7 IVa).

Verbesserungen:

1. „Leistungsberechtigte“: So heißen jetzt die ehemals „hilfebedürftig“ genannten. Sie werden aber weiterhin „Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt“ (so der Titel eines Buches von Wolfgang Gern und Franz Segbers, Diakonie Hessen-Nassau). Zum Trost wurde in § 1 folgender Satz neu eingefügt. „Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.“

2. fünf Euro zusätzlich: die sind längst von der Inflation aufgefressen, von den immer untergedeckten Stromkosten in der Regelleistung ganz zu schweigen. Warmwasser iHv 8,40 Euro (Single) wird nun zusätzlich gezahlt, weil sie das in der Ermittlung der Regelleistung „vergessen“ haben. Der Kinderbedarf wurde immer noch nicht direkt ermittelt, sondern aus der Differenz zwischen den Ausgaben einer Familie mit Kindern und einer Familie ohne Kinder orakelt.

 

3. Bildungspäckchen: für die Kinder gibt es neu immerhin das Mittagessen (bis auf einen Euro), die Schulausflüge, mit Kampf vielleicht auch Nachhilfe, und zehn Euro monatlich für Sport, Kunst, Kultur und Geselligkeit. Diese und weitere Leistungen stehen bei rechtzeitigem Antrag auch Kindern zu, deren Eltern Kinderzuschlag und/oder Wohngeld erhalten (§ 6b KiGG).

4. Erwerbstätige, die zwar sich selbst ernähren können, nicht aber die ganze Familie, müssen sich nun nicht mehr den gesamten Zwängen der Hartz IV – Behörde unterwerfen.

5. Eine „Bagatelleinnahme“ iHv zehn Euro mtl. (Flaschenpfand ?) bleibt anrechnungsfrei (§ 1 I ALG II-V).

6. Beim Übergang in Altersrente wird nun über den Stichtag hinaus bis zum Beginn der Rentenberechtigung gezahlt (das ist der Erste des Folgemonats, die Zahlung erfolgt aber erst zum Monatsende).

7. Beim Übergang in eine geförderte Ausbildung wird zur Überbrückung ein Monat darlehensweise gezahlt.

8. Wird die Miete wegen Mietrückständen direkt an den Vermieter

Das 5-8-Euro-“Erlebnis“

Von Dirk Vosen (SG-NRW) – Ein Freudensprung geht durch Deutschland. Abermals wurde einem Teil unserer Mitmenschen (in dem Fall den ALG II- Empfängern) etwas “Gutes“ getan. Seltsam ist nur der Umstand, dass sich die Leute nicht wirklich darüber freuen. Woran kann das liegen. Liegt es an dem Betrag? Liegt es an dem Umstand, wie der Betrag zustande gekommen ist. Liegt es daran, dass man z. B. Banken innerhalb kurzer Zeit einen „Geldsegenschirm“ aufspannen konnte.

Wahrscheinlich eine „gesunde“ Mischung aus allem. Wenn man  betroffener ALG II- Empfänger ist, kann man sich nur noch über das hin und her von CDU, FDP, SPD und allen anderen Parteien wundern, oder doch eher wütend werden. Das „Produkt“ Mensch verliert in diesem Land durch die „renommierte“ Parteienlandschaft immer mehr an Wert.

Nun haben die Parteien in Bezug auf den Regelsatz einen „Konsens“ gefunden. Großartig wurde dieser „Durchbruch“ in Fernsehen und Zeitung unters Volk gebracht. Hier wird zu fast 99% über die neuen Verbesserungen für Kinder gesprochen. Und das ist auch gut so. Denn wer kann etwas gegen Kinder sagen. Keiner. Und genau das ist der verwerfliche Trick der „führenden“ Politlandschaft.

Leider muss man feststellen, dass ein breiter Widerstand der ALG II- Empfänger zu suchen bleiben wird. Soweit hat man den Betroffenen schon in die Enge getrieben. Positiv zu sehen ist, dass immer mehr ALG II-Empfänger den Weg zu den Gerichten einschlagen. Kürzlich war zu erfahren dass jeder Zweite hier auch zu seinem Recht kommt. Obwohl, kann man an dieser Stelle von Recht sprechen?

Eine altgediente Mitarbeiterin des Arbeitsamtes, der Arge oder des Jobcenters informierte vor kurzer Zeit darüber, dass die Sozialgerichte mittlerweile dazu übergegangen sind, viele Prozesse zugunsten der ALG II-Empfänger „durchzuwinken“. Dies nur darum, damit diese „unselige Ruhe“ bei den Prozesslern und sozialen Verbänden gewahrt bleibt. Wenn das stimmen sollte, wird hier auch noch eine gesetzliche bzw. staatliche Verarsche kredenzt.

Das 5-8-Euro-„Erlebnis“ ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die Tag für Tag ihr Leben im ständigen Alltagskampf bestreiten. Welche Probleme diese Menschen haben, interessiert in der politischen Führung niemand. Das wirklich fatale daran ist aber der Umstand, dass dieses Verhalten bei den Betroffenen nichts auslöst. Ja wir haben diese Veranstaltungen, diese Demos von ver.di, DGB, Attac und vielen sozialen Verbänden. Aber eine wirklich wachsende, anhaltende und breite Bewegung gibt es nicht.

Festzustellen bleibt, dass sich die Regierung immer weiter vom Bürger entfernt. Dieses schmückt sie mit der Floskel der wachsenden Selbstbestimmung des Mitbürgers.

Wir die SG-NRW stehen zu dem, was wir immer gesagt haben. Wir sind für die zeitnahe Abschaffung der unmenschlichen, ja geradezu menschenverachtenden Hartz IV-Knebel-Gesetzen.

Die letzten 6 Jahre haben uns bewiesen, wie es Millionen von Menschen ergangen ist, was die Hartz IV-Gesetze aus ihnen gemacht haben. Hoffnungslosigkeit, begleitet von wachsenden psychischen Problemen haben und werden sich weiterhin einstellen. Ein Mensch, bei dem die Sorge um Existenz, Überleben und immer wieder enttäuschter Hoffnung, gefolgt von zu wenig Geld tagtäglich überwiegt, verändert sich.

Wenn man das erkannt hat, muss man sich die Frage stellen. Was kann die Regierung bei diesen wachsenden Problemen der ALG II-Empfänger noch erwarten. Die Regierung muss sich als Auslöser dieser Probleme erkennen. Solange sie dies nicht tut und keine konsensfähigen Lösungen (mit dem ALG II-Empfänger) anbietet, wird Hartz IV ein ewiges Problem bleiben.

Die Frage ist. Was kann die Regierung in der momentanen Situation noch erwarten?
Wenn sie realistisch ist, kann es nicht viel sein.

Partei: Soziale Gerechtigkeit Nordrhein Westfalen (SG-NRW)

Pressemiteilung:

Dirk Vosen (Stellv. Vorsitzender)

41238 Moenchengladbach

Andrej Hunko: Hartz IV bleibt menschenunwürdig und verfassungswidrig

Stimmerklärung zum Hartz-IV-Vermittlungsergebnis

Als vermutlich einziger ehemalig selbst Hartz-IV-Betroffener  im Bundestag stimme ich  gegen das Ergebnis des Vermittlungsausschuss. Das ausgehandelte Ergebnis ist vom Standpunkt der Erwerbslosen völlig unzureichend.

Nach meiner Auffassung sind weder die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt noch ist die grundlegende Problematik von Hatz-IV angegangen worden.

Mit der Einführung von Hartz-IV durch die damalige SPD-Grünen-Regierung ist ein Paradigmenwechsel in der bundesdeutschen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eingeleitet worden. Eine Versicherungsleistung für Beschäftigte wurde in ein System überführt, das Erwerbslose zu einem bizarren Spießrutenlauf nötigt, um überhaupt die elementarsten Lebensgrundlagen zu erhalten.  Parallel wurde ein drakonisches Sanktionsregime etabliert, das selbst bei kleinen Verfehlungen zum Entzug der lebensnotwendigen Leistungen führt.  Das Ziel und Ergebnis dieser „Reform“ war die Errichtung eines beispiellosen Niedriglohnsektors in Deutschland und das Abwälzen des gesellschaftlichen Problems der Arbeitslosigkeit auf die jeweiligen Erwerbslosen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Berechnungsgrundlage der Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig erklärt und damit einem Teil der Kritiken recht gegeben.  Der jetzt zwischen den Hartz-IV-Parteien SPD, Grüne, CDU und FDP ausgehandelte Kompromiss hebt die Verfassungswidrigkeit nicht auf.

Notwendig wäre bis zur völligen Abschaffung von Hartz IV die sofortige und repressionsfreie Erhöhung der Eckregelsätze auf 500 Euro, die Abschaffung des Sanktionsregimes und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 10 Euro.

Die Zustände in den „Jobcentern“ können nur als Zustände bezeichnet werden, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen“ ist, um ein bekannten deutschen Philosoph  zitieren. Daran ändert das Ergebnis des Vermittlungsausschusses nichts. Diesen Zuständen kann ich meine Zustimmung nicht geben.