Im Bundestag notiert: Sanktionen bei Hartz IV seien „zentrale Normen“

Berlin: (hib/VER) Regelungen von Sanktionen bei Hartz IV seien „zentrale Normen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende“. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/11459) auf eine Kleine Anfrage (17/10938) der Fraktion Die Linke. Die Sanktionsregelungen, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verankert sind, würden „die allgemeinen sowie speziellen Mitwirkungsverpflichtungen der Leistungsberechtigten flankieren“, heißt es zur Begründung.

Anstieg der Hartz IV-Sanktionen als Kriterium für Professionalität?

Die Jobcenter sanktionieren bei Hartz-IV-Beziehenden so oft wie nie zuvor: Erstmals sollen binnen zwölf Monaten von August 2011 bis Juli 2012 mehr als eine Million Sanktionen erlassen worden sein, wie die „Süddeutsche Zeitung“ heute berichtete. Danach ist die Zahl der Strafen verglichen mit 2009 um 38 Prozent auf 1,017 Millionen gestiegen. Im Schnitt wurden die staatlichen Leistungen um 106 Euro gekürzt. Das Erwerbslosen Forum Deutschland wirft den Jobcentern blinde Sanktionswut vor und findet es ungeheuerlich, wenn eine Sprecherin der BA die Zunahme der Sanktionen auf die „konsequentere und professionellere Arbeit“ der Behörde zurückführt. Von Bündnis90/Grüne fordert die Initiative, den Beschluss vom Bundesparteitag vom Wochenende – Aussetzung der Sanktionen bei Hartz IV – umgehend als Antrag im Bundestag umzusetzen.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland:

„Die hohe Anzahl der Sanktionen sollten der Bundesregierung und der Bundesagentur für Arbeit Schamesröte ins Gesicht treiben lassen. Ich bezeichne so etwas als blinde Sanktionswut, die aufgrund der unwürdigen Gesetzeslage fast schon automatisch verhängt wird und auf individuelle Umstände keine Rücksicht nimmt. Wir wissen aus unserer eigenen Erfahrung, dass kaum eine Sanktion Bestand hat, wenn wir uns damit rechtlich auseinandersetzen. Die Sanktionswut geht sogar soweit, dass beispielsweise Schwangere im siebten Monat noch einen Ein-Euro-Job anfangen sollen, weil den Jobcentern nichts Sinnvolleres einfällt. Und so ist es auch bei den Stellenangeboten. Viele Menschen werden mit Stellenangeboten von Zeitarbeitsfirmen überhäuft, die dann entweder doch nicht vorhanden sind oder die Menschen allenfalls in prekäre Beschäftigungen bringen. Oftmals werden in den Eingliederungsvereinbarungen auch völlig sinnlose Dinge vereinbart, die kaum zu erfüllen sind oder die Grenzen der Zumutbarkeit überschreiten.

Mit der Forderung nach Aussetzung der Sanktionen haben die Grünen am Wochenende einen richtigen Beschluss gefasst. Wir fordern die Partei auf, umgehend einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einzubringen. Die Linkspartei wird einem solchen Antrag sicher zustimmen. Die SPD müsste dann zeigen, wie ernsthaft ihr ein zukünftiges Regierungsbündnis zusammen mit den Grünen ist.“

Anstieg der Hartz IV-Sanktionen – Steuerhinterzieher erfahren mehr Gerechtigkeit

Bonn – Wie die „Bild“-Zeitung heute berichtet, gab es noch nie so viele Sanktionen gegen Hartz IV-Beziehende in Deutschland, wie im ersten Halbjahr 2012. Bis Ende Juni wurden bereits 520.792 Sanktionen verhängt. Allein im Februar wurden 93.931 Strafen gegen Hartz IV-Beziehende ausgesprochen. Damit könnte in diesem Jahr erstmals die Anzahl von einer Million Sanktionen überschritten werden.
Gleichzeitig beantragten auch mehr Menschen bei den Jobcentern Darlehen, um über die Runden zu kommen. Für das Bundesland Sachsen liegen dazu aktuelle Zahlen vor. Gewährten die Jobcenter 2007 noch monatlich durchschnittlich 630 Betroffenen Darlehen, waren es 2011 bereits 707 Menschen.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland:

„Die steigende Anzahl von Bestrafungen zeigt, dass sich durch Hartz IV ein System etabliert hat, in dem das Individuum nichts mehr zählt. Sanktionen werden rücksichtslos und stur nach Vorgaben verhängt.  Würde man so im Strafrecht verfahren, müsste man zu Recht von einem Unrechtsstaat sprechen. Inzwischen reicht offenbar schon das geringste „Fehlverhalten“ und die Sanktionsfalle schnappt erbarmungslos zu. Zum Beispiel dann, wenn der so genannte „Kunde“ des Jobcenters in einem Monat statt der geforderten zehn nur neun Bewerbungen vorweist. Die Zahlen sagen auch nichts darüber aus, ob die Sanktionen überhaupt gerechtfertigt waren. Jeder Steuerhinterzieher muss erst dann mit einer Strafe rechnen, wenn alle Umstände aufgeklärt sind und seine Tat vor Gericht verhandelt wurde. Bei Hartz IV wird sofort und rücksichtslos sanktioniert.

Dass die Zahl der Notkredite zunimmt verwundert nicht, denn der Hartz IV-Regelsatz lässt nur das nackte Überleben zu. Die Reparatur einer defekten Waschmaschine, gar ein Neukauf oder eine Stromnachzahlung sind nicht drin. Man muss sich verschulden oder ohne Waschmaschine und Strom leben. Ausgehend von der gestern durch die Bundesregierung angekündigten Erhöhung der „Öko-Abgabe“ und den daraus folgenden steigenden Strompreisen, ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Kredite im nächsten Jahr drastisch zunehmen wird und dass es zu vermehrten Stromabschaltungen kommt. Von einer menschenwürdigen Existenzsicherung sind wir nach wie vor weit entfernt.“

Piratenpartei Johannes Ponader – Bärendienst für Hartz IV-Bezieher

Bonn – Als absurdes neoliberales Theater bezeichnet das Erwerbslosen Forum Deutschland die seit Wochen andauernde Debatte um die Piratenpartei, ihrem Geschäftsführer und Hartz IV. „Erwerbslose, die vom Hungersatz Hartz IV und dem ständigen Druck der Ämter leben müssen, kommen sich regelrecht verschaukelt vor. Hartz IV ist kein bedingungsloses Grundeinkommen, dass zur politischen Selbstverwirklichung dient und ein politisches Amt als Bundesgeschäftsführer ist keine ehrenamtliche Betätigung, sondern knochenharte Arbeit, die ordentlich bezahlt gehört, sagte Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

Sowohl Ponander, der mittlerweile von Spenden lebt, als auch seine parteiinternen Kritiker, die von ihm unbezahlte Arbeit erwarten unterböten die durch Hartz IV verursachten Dumpinglöhne bei Weitem. Es sei auch nicht verständlich, warum eine Partei mit so einem Mitgliederzulauf nicht in der Lage ist, ihren Geschäftsführer vernünftig zu bezahlen. Ein Ehrenamt übe man in der Freizeit aus und ist keineswegs unbezahlter Fulltime-Job. Für Arbeit gelte immer noch: „Keine Arbeit ohne Lohn“. v

„Der Neoliberalismus scheint die ersten geistigen Schäden hinterlassen zu haben. Nicht anders kann ich mir Ponaders Reaktionen auf die Kritik, als Bundesgeschäftsführer Hartz IV beziehen, erklären. Wer allen Ernst Hartz IV als eine Art bedingungsloses Grundeinkommen betrachtet, zementiert damit das System des permanenten Mangels und der Ausgrenzung. Gefährlich wird es allerdings, wenn Ponader fordert, dass die Gesellschaft quasi für die Tätigkeit in einer Partei aufkommen soll. Man stelle sich vor,die NPD würde so etwas für sich in Anspruch nehmen wollen. Erwerbslosen und Geringverdienern erweist die Piratenpartei zurzeit einen Bärendienst“, so Martin Behrsing in Bonn.

Essener Jobcenter wälzt eigene Aufgaben auf Leistungsberechtigte ab

Bevor ein Hartz 4-Leistungsberechtigter in eine andere Stadt umzieht, sollte er eine Zusicherung beim bisher zuständigen Jobcenter einholen, damit er sicher ist, dass auch die Miete in der neuen Wohnung voll übernommen wird und Umzugskosten und Mietkaution getragen werden. Für diese Zusicherung ist nach § 22 Abs. 4 SGB II eindeutig der bisher örtlich zuständige Träger zuständig; Also im Fall des Wegzugs von Essen, das Jobcenter Essen. Da die Jobcenter häufig nicht wissen, was in einer anderen Stadt angemessen ist, also für welche Wohnungen eine Zusicherung zu erteilen ist, hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass das Jobcenter am Ort der künftigen Wohnung zu beteiligen sei.

Praxis in Essen

Das Jobcenter Essen hält sich jedoch systematisch nicht an diese Vorgabe. Stattdessen wird dem Leistungsberechtigten aufgebürdet, sich vorab bei dem neuen Träger eine schriftliche Bescheinigung über die Angemessenheit der Wohnung ausstellen zu lassen. Die Stadt, in die der Leistungsberechtigte umziehen möchte, hat aber weder gesetzlich eine Pflicht, diese Bescheinigung auszustellen noch gibt es dort bisher ein Verwaltungsverfahren (also eine Akte) desjenigen, der umziehen möchte. Daher ist es regelmäßig mit Schwierigkeiten verbunden, eine solche Bescheinigung in einer anderen Stadt (schnell) zu erhalten. Das Problem tritt seit 2012 verschärft auf, da auf die elektronische Akte des Jobcenters Essen als Optionskommune nicht mehr von anderen Städten aus zugegriffen werden kann. Dort können also bestimmte Daten wie die Personenzahl des Haushalts, Alter der Personen, Vermerke, die für die Beurteilung der Angemessenheit einer Wohnung wichtig sind, nicht mehr ermittelt werden.

Es geht anders

Andere Städte (z. B. Gelsenkirchen) halten sich an die gesetzlichen Vorgaben und führen Verzeichnisse über die angemessenen Kosten der Unterkunft in anderen Städten, um die Zusicherung in eigener Kompetenz durchführen zu können. Falls dort Unklarheiten bestehen, informiert sich das Jobcenter über das Internet oder telefonisch. Es ist kein Grund ersichtlich, warum das Essener Jobcenter nicht auch so handeln könnte.

Konsequenz

Für das Jobcenter Essen muss die Forderung lauten, so schnell wie möglich gesetzmäßige Zustände herzustellen. Betroffene sollten sich nicht als Laufbursche des Jobcenters anbieten und die Forderung zurückweisen, dass sie bei einer anderen Stadt Bescheinigungen einholen sollen. Stattdessen ist das Jobcenter auf seine Pflicht hinzuweisen, die andere Stadt zu kontaktieren und sich in eigener Verantwortung die Frage nach der Angemessenheit zu beantworten. Wenn dieser Hinweis ungehört bleibt, ist notfalls auch der Rechtsweg zu beschreiten.

Rechtsanwalt Jan Häußler, Fachanwalt für Sozialrecht in Essen

 http://www.jan-haeussler.de/