Offener Brief der Kreistagsabgeordnetin Andrea Jacob zu den Vorfällen der Beschäftigungsträger mit Schutzbefohlenen
Gießen. Wie aufmerksame Zeitungsleser feststellen konnten, wurde die kommunalpolitische Debatte in Stadt und Kreis Gießen / Hessen während der letzten drei Wochen von einer Auseinandersetzung um rechtsradikale Vorfälle in der Jugendwerkstatt beherrscht. Die entsprechenden Vorwürfe wurden von der Geschäftsführung der Jugendwerkstatt zurückgewiesen, wobei Pfarrer Christoph Geist am 15. Januar 2007 in der Gießener Allgemeinen erklärte, dass Frau Jacob nichts anderes im Sinn hätte, als dem Beschäftigungsträger Auslöser der Kontroverse war ein vom hr-Politmagazin „defacto“ ausgestrahlter Beitrag, in dem eine unkenntlich gemachte Zeugin vor laufender Kamera berichtete, dass in dieser Einrichtung volksverhetzende Musik gespielt und von einer Einzelperson sowohl an Mitarbeiter als auch an Teilnehmer weiterverkauft wurde. Im Rahmen der Sendung kam auch Andrea Jacob, Kreistagsabgeordnete und Sprecherin der Humanistischen Linken, zu Wort, die das gleichgültige Verhalten der Verantwortlichen als fahrlässig bezeichnete. Die entsprechenden Vorwürfe wurden von der Geschäftsführung der Jugendwerkstatt zurückgewiesen, wobei Pfarrer Christoph Geist am 15. Januar 2007 in der Gießener Allgemeinen erklärte, dass Frau Jacob nichts anderes im Sinn hätte, als dem Beschäftigungsträger der Evangelischen Kirche zu schaden: „Das ist bereits ihr dritter Versuch. Ich weiß nicht, woher dieser Hass auf uns kommt.“ Schon in einer früheren Stellungnahme, die zu Beginn des neuen Jahres auf der Homepage des Dekanats Kirchberg erschien, hatte er ihr persönliche Motive bei ihrer Kritik an der Jugendwerkstatt unterstellt. Dort mutmaßte er, dass die Insolvenz ihres Bildungsinstituts dafür ausschlaggebend gewesen sei, vergleichbare Einrichtungen in der Region Mittelhessen unter Beschuss zu nehmen. Diese Spekulation wurde am 18. Januar 2007 auch vom Kreis- und Landtagsabgeordneten Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) angestellt und im Gießener Anzeiger als offensichtliches Faktum deklariert. Auf welcher Grundlage sein Urteil zustande kam, bleibt rätselhaft, zumal er zu keinem Zeitpunkt Rücksprache mit Frau Jacob gehalten oder die Pressemitteilungen der Humanistischen Linken gelesen hat. Wie hätten sie ihm auch bekannt sein können, da sie von der Gießener Lokalpresse weder vollständig noch im Wortlaut abgedruckt wurden. Weil seine Anschuldigungen aber noch immer im Raum stehen, wollen wir den Sachverhalt näher erläutern, um Außenstehenden einen möglichst umfassenden Einblick in die Problematik zu geben.
Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen
Entgegen der Behauptung, Frau Jacob würde mit ihrem politischen Engagement ausschließlich individuelle Ziele verfolgen, stellt die Humanistische Linke unmissverständlich klar, dass unsere Kritik an der Jugendwerkstatt von Anfang an sachlich begründet war. Wir haben diese Institution stets als sinnvoll erachtet und ihre Bedeutung für die Integration von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nie in Frage gestellt.
Gleichwohl sind wir uns bewusst, dass die praktische Umsetzung der Hartz-Gesetze auf Sinnhaftigkeit überprüft werden muss, weshalb wir seit2005 unsere besondere Aufmerksamkeit solchen Trägern zuwenden, die Arbeitsgelegenheiten anbieten. Hierzu gehört neben ZAUG und IJB vor allem die Jugendwerkstatt. Zur Verdeutlichung: Es geht uns in erster Linie um den entwürdigenden Umgang mit Erwerbslosen in allen Einrichtungen und um die Vernichtung regulärer Arbeitsplätze. Das ist unser Hauptausgangspunkt.Sämtliche, noch so diffamierenden persönlichen Angriffe auf die Kreistagsabgeordnete Andrea Jacob oder andere Mitglieder der Humanistischen Linken, werden uns von unserem Vorhaben, öffentliche Aufklärung in Bezug mit den Hartz – Gesetzen zu betreiben, davon abhalten lassen. Dabei ist es uns völlig gleich, welche Trägerschaften hinter den Institutionen verborgen sind.
Auf die Unregelmäßigkeiten bei Beschäftigungsträgern wurden wir erst aufmerksam, als sich im Frühjahr 2006 ehemalige Mitarbeiter an uns wandten und von ihren Erfahrungen berichteten. Wir sahen uns gezwungen, nähere Informationen einzuholen — zum einen, weil wir von den Betroffenen ausdrücklich darum gebeten wurden, zum anderen, weil wir unser politisches Versprechen einlösen wollten, aktiv gegen die Benachteiligung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern vorzugehen. Hierzu stellte Frau Jacob — damals noch Mitglied der Kreistagsgruppe „Die Linke“ — zwei Berichtsanträge, die sich mit dem Einsatz von Schutzbefohlenen in Privathäusern befassten und nach der möglichen Zweckentfremdung öffentlicher Fördergelder fragten. Da hierbei die Persönlichkeitsrechte einer leitenden Mitarbeiterin betroffen waren, hielten wir es für angezeigt, sie über unser Ansinnen in Kenntnis zu setzten. Nach brieflicher Kontaktaufnahme kam es allerdings zu keinem klärenden Gespräch. Stattdessen erhielten wir ein Anwaltsschreiben, in dem strafrechtliche Schritte angedroht wurden. Angesichts von mehreren eidesstattlichen Versicherungen, die uns vorlagen, sahen wir jedoch keinen Grund, uns einschüchtern zu lassen. Wir brachten das Thema in die Medien, woraufhin die Staatanwaltschaft Ermittlungen einleitete. Kurz darauf wurde angekündigt, dass die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eine Prüfung durchführen würde. Hiermit gab sich der Erste Kreisbeigeordnete Stefan Becker (FW) zufrieden und sah davon ab, eine eigene Untersuchung durchzuführen. Wie der Bericht der EKHN ergab, waren die von uns geäußerten Zweifel nicht aus der Luft gegriffen, sondern wurden sogar weitgehend bestätigt. Der Kreistag kam aber zu dem Schluss, dass ihm durch die Praktiken der Jugendwerkstatt kein finanzieller Schaden entstanden sei und unterband weitere Nachforschungen durch Ablehnung eines präzisierten Berichtsantrags. Daraufhin meldeten sich neue Zeugen bei uns. Sie zeigten uns nicht nur unlautere Arbeitsverträge für Ein-Euro-Jobber (Vollzeit und Doppelschichten), sondern erzählten ebenfalls von rechtsradikaler Musik, die sie in den Räumlichkeiten der Jugendwerkstatt hätten ertragen müssen.Wir ließen uns — wie in den vorigen Fällen — eidesstattliche Erklärungen geben, wobei wir auf juristische Konsequenzen bei Falschaussage hinwiesen.Zudem erhielten wir von den genannten Personen den Auftrag, in dieser Angelegenheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Nachdem der Hessische Rundfunk Interesse signalisiert hatte, wurden Vorgespräche geführt, die sich neben den bereits bekannten Gesichtspunkten auch mit neofaschistischen Umtrieben in der Einrichtung der evangelischen Kirche beschäftigten. Man kam überein, zwei Berichte zu senden, bei denen die Vorfälle näher beleuchtet werden sollten. Da der erste Teil trotz seines äußerst sachlichen Tons für großen Aufruhr sorgte, der weder der Humanistischen Linken noch dem verantwortlichen Redakteur erklärlich ist, soll die zweite Hälfte bis auf weiteres nicht ausgestrahlt werden. Diese Vorsicht scheint angesichts der Tatsache geboten, dass wir bislang auf erheblichen Widerstand gestoßen sind. Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb die Öffentlichkeit nicht erfahren soll, wie im konkreten Fall mit Steuergeldern umgegangen wird.
Kontakt:
Andrea Jacob
Kreistagsabgeordnete
An der Stadtkirche 8
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