Generalangriff auf Arbeitnehmerrechte – Der „soziale Arbeitsmarkt“

eejAuszüge einer politischen Offensive

In einer Analyse der LAG Arbeit Hessen vom Mai 2007 wird die Reform als „Wege und Irrwege der öffentlich geförderten Beschäftigung“ benannt. Hieraus sind folgend einzelne Auszüge von Einschätzungen entnommen.
<<In der CDU/CSU hatte sich die Merz-Kirchhoff-Tendenz durch­gesetzt. Sie kündigte eine Generalinventur der Arbeitsmarktpolitik an, zu der u.a. ein radi­kaler Rückschnitt aller aktiven Maßnahmen gehören sollte. Ein Teil der CDU stand nicht hinter den marktradikalen Ansätzen von Merz und Merkel. Die CDU schnitt im Wahlkampf enttäuschend ab; die Phantasien des „Durchregierens“ mussten begraben werden. Anklänge davon finden sich noch im Koalitionsvertrag mit der Ankündigung, in 2007 zu einer großen Inventur der Arbeitsmarktpolitik auszuholen. Der Unternehmergruppe und den Marktliber­alen in CDU/CSU ging es aber primär darum, die Macht der Gewerkschaften zu brechen, Unternehmer-Beiträge in soziale Systeme zu reduzieren und daher alle kostenträchtigen Maßnahmen am Arbeitsmarkt zu beschneiden. Auf deren Seite hatte sich mittlerweile die neue NRW-Landesregierung (Rüttgers, Laumann) eine sozialpolitische Rhetorik zugelegt und sogar integrativ orientierte Programme entwickelt (z.B. den NRW-Kombilohn). Seit Amtsantritt der neuen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen unternimmt deren Arbeitsminister intensive Bemühungen zur Einführung eines Kombilohnmodells für Langzeitarbeitslose. Es ist an dieser Stelle nicht wegen seiner Originalität oder quantitativen Bedeutsamkeit zu erwähnen, sondern deshalb, weil es sich (koalitions-kompromisshaft) mit der Diskussion um den 3. Arbeitsmarkt vermischt hat. Wie aus NRW bekannt wird, klemmt das Modell trotz intensiver Förderung. Weniger als 500 Personen konnten binnen Jahresfrist 2006 integriert werden. Es sind auch keine Wunder zu erwarten. Aus Sicht eines echten Arbeitgebers (nicht der Abzocker) kommen Passung, Eignung und Produktivität zuerst – erst dann kommt der Zuschuss.

Flügelschläge auf der Rechten – „workfare“ und „Bürgerarbeit“
Still war es geworden um Roland Kochs aus Wisconsin übertragenes und von Professor Sinn wissenschaftlich untersetztes „workfare“-Modell. Trotz großem Auftritt in 2002 und hoher Energie, mit der das hessische „Offensiv-Gesetz“ 2003 vorgetragen wurde, konnte es sich selbst in den eigenen Reihen nicht wirklich durchsetzen*. Zu unbeherrschbar erscheinen offenbar die Effekte und Nebeneffekte eines Reformmodells, das mit Absenkungen der Unterhaltsleistungen (weinende Kinder!), einer generellen Arbeitspflicht aller Leistungsem­pfänger (Arbeitsdienst!) und einem damit unvermeidlich sehr großen Volumen von Ersatz­arbeitsgelegenheiten (Aufschrei im Handwerk!) verbunden wäre.
[*Anmerkung: Die Realität hat uns anderes gelehrt. In der hessischen Landeshauptstadt und Optionskommune Wiesbaden wird Harz IV vom SPD geführten Sozialdezernat brachial a la Koch-Rezept umgesetzt. Roland Koch könnte es hier nicht besser machen.]

Flügelschläge auf der Linken – der Irrweg „3. Arbeitsmarkt“
Im Frühling 2006 war offensichtlich, dass der Protest gegen die Arbeitsgelegenheiten von Seiten der direkt Betroffenen ausblieb, vielmehr eine Gewöhnung an das angebliche Unrecht einsetzte. Gleichzeitig zeigte sich immer deutlicher, dass die gesetzlich mögliche Arbeitsge­legenheit in der „Entgeltvariante“ nur marginale Bedeutung gewonnen hatte – nicht zuletzt durch die damit verbundene finanzielle Belastung des Eingliederungstitels. Von Seiten des DGB und der Einzelgewerkschaften wurde daher die Kampagne gegen die Arbeitsgelegen­heiten (auch durch das Loslassen von Arbeitsloseninitiativen und Berufsbetroffenen) ver­stärkt. Damit koordiniert lancierten gewerkschaftsnahe bzw. sozialpolitisch orientierte Teile der Wohlfahrtsverbände einen Vorstoß für eine Renaissance der sozialversicherungspflichti­gen Arbeit in der geförderten Beschäftigung.
Ein anderer Widergänger von Originalen der Vorzeit und quasi eine Kreuzung aus workfare-Philosophie und Nachklängen einer mitteldeutschen Arbeitskultur („alle hatten Arbeit“) ist das Sachsen-Anhaltinische Modell der „Bürgerarbeit“, das auch im dortigen Ministerpräsiden­ten Böhmer Fürsprecher findet. Die sächsische „Bürgerarbeit“ kommt ohne ein verändertes gesetzliches Instrumentarium aus, weil sie geschickt vorhandene Instrumente (Arbeitsge­legenheiten in der sog. Entgeltvariante) über ihren Zweck hinaus überdehnt.
Man erinnere sich jedoch: Ein ganz ähnliches Konzept wurde zwischen 1995 und 2002 in Leipzig mit bis zu 8.000 ABM-Arbeitsplätzen in einem städtischen Eigenbetrieb inszeniert (Leipziger „Gummistiefel-Brigaden“), über den dann fast alle öffentlichen Infrastrukturar­beiten abgewickelt wurden. Die in der Tat erhebliche Marktbeeinträchtigung und der
unver­meidliche Übermut eines „Großkombinats“ führten zu lokalem Missmut, der schließlich zur Zerschlagung des Eigenbetriebs und zu einer skandalträchtigen Entsorgung eines seiner Protagonisten führte.

Ein besonderer Handlungsbedarf für die Arbeitsmarktfernen besteht nicht!
Und dieser ganze Zauber – im Umfang von 100.000 Stellen und mit einem Finanzbedarf von bis zu zwei Milliarden Euro – soll aus sozialpolitischen Gründen auf der politischen und insbesondere der arbeitsmarktpolitischen Tagesordnung stehen?>>

Der 3. Arbeitsmarkt oder wie er jetzt im Jargon der BA als „Sozialer Arbeitsmarkt“ tituliert wird ist da und die Inhalte und Auswirkungen der neuen Gesetze gehen weit­gehend lautlos an der breiten Öffentlichkeit vorbei.
Auf politischer Ebene wird die „Umstrukturierung des Arbeitsmarktes“ über verschiedene Teilprojekte und Titelungen wie „Dritter – Sozialer – Ehrlicher Arbeitsmarkt, Bürgerarbeit, Kommunal-Kombi, Job-Perspektive u.a.“ injiziert. Die damit gekoppelten unterschiedlichen Deklarationen der Projekte und Modellversuche, die zu einem Gesamtkonzept gehören, machen die Einschätzung der Gesamtauswirkungen sehr schwierig.
Kay Senius von der BA erklärte, dass mit der Öffentlich geförderte Beschäftigung 100.000-150.000 Menschen erreicht werden könnten. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge bezieht sich hingegen bereits in einem Positionspapier vom 07.03.2007 auf den Aspekt, „dass sich deren Vorschläge zunächst auf diese Testphase beziehen, nicht auf eine später mögliche flächendeckenden Umsetzung“. Solche Aussagen einer später möglichen flächendeckenden Umsetzung der Pilotphase sollten uns z.B. hellhörig machen.
Das Konzept der AG Arbeitsmarkt richtet sich auf das EU Förderprogramm 2007-2013 „Projektideen für Kommunen“ aus. Das EU Förderprogramm bietet u.a. den finanziellen Handlungsspielraum zur Umstrukturierung des Arbeitsmarktes von unten, über die Erwerbs­losenproblematik. Für die arbeitsmarktlichen Zielgruppen „Langzeitarbeitslose, Jugendliche, Frauen“ sind als Hauptadressat Bildungsträger (Jugendwerkstätten, Pro-Aktiv-Centren) / Unternehmen / Kommunen benannt.

Laut Gutachten der AG Arbeitsmarkt (Leitung Franz Müntefering) ist die Einfüh­rung eines flächendeckenden, undifferenzierten Mindestlohns in Höhe von ca. 4,50 € vorge­sehen, der an tarifliche bzw. ortsübliche Bezahlung angepasst würde. Dieser Mindest­lohn orientiert sich in der Höhe am abgabenfreien Grundeinkommen bei Vollzeitbeschäfti­gung. (Alleinstehende) Vollzeitbeschäftigte erhalten demnach ab Wochenarbeitszeiten von 38 Std. mindestens das Grundeinkommen von 750 Euro. Laut Kölner Stadtanzeiger vom 20.02.07 verbinde der Ent­wurf die Forderung der Union nach Kombilöhnen mit Vorstellungen der SPD zur Einführung eines Mindestlohns, hieß es aus Koalitionskreisen.

Nach Anfrage der Gewerkschaft bei der Landesregierung von Sachsen-Anhalt hinsichtlich der von Dr. Haseloff beantragten Förderhöhe zum Modell Bürgerarbeit, zu dem der Betrag von 50 Mio. EUR aus dem Landesaushalt 2008-2009 kursierte, wurde seitens des Finanzminis­teriums erklärt: Haseloff will ja nicht, dass wir 7,50 € Mindestlohn zahlen – sondern er will seinen Mindestlohn von 4,95 € durchsetzen. Er hat nur 10 Mio. EUR beantragt. (Bei den 50 Mio. EUR konnte es sich allerdings um die Förderung für 2007 handeln.)
In dem Kontext lässt sich der im Februar 2007 von Bundesarbeitsminister Müntefering gewagte Vorstoß für einen Mindestlohn von zunächst 5 € netto pro Stunde besser verstehen. Hierbei sollen nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeigers die Finanzämter künftig niedrige Arbeitseinkommen durch eine abgestufte Übernahme der Sozialabgaben bezu­schussen. Bei 5 €/Std. würden 100 Prozent der Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung vom Staat gezahlt.

Der Soziale Arbeitsmarkt trifft nicht allein die Erwerbslosen in hohem Maße, vielmehr stellt er wohl den bislang größten Angriff auf die Beschäftigten in Mittel- bis Niedriglohngruppen dar.

Noch bevor Hartz IV geboren war hieß es am 15.12.2000 in einer Meldung der FAZ: Vor mehr als einem Jahr haben sich Union und SPD im Koalitionsvertrag zu einer Reform des Niedriglohnsektors verpflichtet. Der Weg dahin war lang aber gründlich. Ende 2007 ist es nun soweit.
http://www.lag-arbeit-hessen.de/fileadmin/user_upload/Arbeit-einstellen.pdf

Am 06.07.2007 hatte der Bundestag das Programm „JobPerspektive“ zur Integration von bis zu 100.000 schwervermittelbaren Langzeitarbeitslosen beschlossen, dass am 01.10.2007 in Kraft trat. Zielgruppe sind Langzeitarbeitslose über 18 Jahren, die drei Vermittlungshemm­nisse aufweisen und bei denen ein Integration in den Ersten Arbeitsmarkt innerhalb der nächsten zwei Jahre nicht zu erwarten ist. Drei Vermittlungshemmnisse können z. Bsp. sein: Langzeitarbeitslos und das ist man nach 1 Jahr, Alter (oft schon ab 40 als nicht mehr tauglich eingestuft) und Schulden. Achtung ist diesbezüglich auch bei Darlehnsangeboten von Sozialämtern geboten.
Für die Eingliederung in den so genannten Sozialen, Dritten oder auch Ehrlichen Arbeits­markt sind 2 Förderphasen vorgesehen. In der 1. Förderphase sollte die mögliche Förder­dauer von 24 Monaten ausgeschöpft werden, sofern eine zweite Förderphase nicht ausge­schlossen wird. Die Arbeitshilfe wurde von der BA unter Beteiligung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erarbeitet. Sie wird bei Bedarf fortgeschrieben.
Kurzfassung: Der 3. Arbeitsmarkt – Öffentlich geförderte Beschäftigung

Original: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/HEGA
-Internet/A06-Schaffung/Publikation/Arbeitshilfe-zu-P16a-SGB-II.pdf

Das Programm darf nicht mit dem sog. Kommunal-Kombi verwechselt werden, mit dem auf Initiative der Minister Müntefering und Tiefensee ebenfalls 100.000 Arbeitsplätze im gemeinnützigen Bereich für Langzeitarbeitslose speziell in Problemregionen geschaffen werden sollen. Dabei handelt es sich um dreijährige voll sozialversicherungspflichtige Arbeit zu einem Bruttolohn von 1.000 €. Die Förderung beginnt am 01.01.2008 und endet am 31.12.2009. Vorgesehen ist ein Mitteleinsatz von 1,71 Milliarden Euro.
Ab April 2008 soll dann eine Öffnung auch für gewinnorientierte Betriebe auf dem regulären Arbeitsmarkt erfolgen, nachdem europarechtliche Beihilfefragen geklärt sind. Die klassische Definition des Kombilohns bezieht sich allein auf die Subventionierung des Arbeitnehmers, dessen geringer Lohn durch staatliche Transferleistungen ergänzt wird. Modelle zur Subven­tionierung niedriger Erwerbseinkommen können lt. der Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt im Grundsatz allerdings sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite des Arbeits­marktes ansetzen oder Elemente beider Ansätze kombinieren.

Laut Arbeitshilfe der BA wird der Begriff Arbeitgeber im Öffentlich geförderten Beschäfti­gungssektor (ÖBS) um­fassend verstanden. Dabei sei es unerheblich, ob der Arbeitgeber eine natürliche oder juristische Person, öffentlich- oder privatrechtlich organisiert, erwerbswirt­schaftlich oder gemeinnützig ausgerichtet ist oder welcher Branche der Arbeitgeber zuge­ordnet ist. Wie aus Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen hervorging, sollen private Träger nunmehr schon zum 01.04.2008 und nicht erst Anfang 2010 zugelassen werden. Während der Über­gangsfrist vom 01.10.2007 – 31.03.2008 sind nur zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten gem. § 261 Abs. 2 und 3 SGB III förderfähig. Danach können Bedarfe der Wirtschaft beispiels­weise im Helferbereich vorhanden sein, möglicherweise in Tätigkeits­feldern, die im Wege früherer Rationalisierungen und Umstruk­turierungen weggefallen sind. Beschäftigungen können auch im Umfeld von Produkten und Dienstleistungen entstehen, deren Erstellung ansonsten im Zuge der Globalisierung ins Ausland verlagert würde. Es können wirtschaftliche Aktivitäten in Betracht gezogen werden, die in privatwirtschaft­lich nicht besetzten Marktnischen stattfinden oder in Geschäftsfeldern, die sich nicht ren­tabel betreiben lassen, aber einen Zusatznutzen für die Gesellschaft dar­stellen. Integrationsunternehmen sind bereits heute in den Bereichen Facility-Manage­ment, Industrieansiedlungen, Hotel-/Gaststättengewerbe, Gemeinschaftsverpflegung und Einzel­handel aktiv. Neben dem Einsatz im gewerblichen Bereich. Integrationsunternehmen und soziale Betriebe können im Einzelfall, sofern dies vor Ort zum Aufbau von Beschäftigungs­möglichkeiten erforderlich ist, zusätzlich Leistungen für besonderen Aufwand erhalten.
Siehe Beitrag: Profitgier Der Hartz IV-Industrie – Berlin ist überall Teil I, . II, .und .III  

Die Arbeitshilfe der BA wurde in einer Arbeitsgruppe „Zusatzjobs“ unter Beteiligung der Sozialpartner BDA und DGB sowie der Wohlfahrtsverbände beraten. Das Kriterium der Wett­bewerbsneutralität soll z. Bsp. über einen lokalen Konsens von Beiräten realisiert werden. Dies ist jedoch kein verbindlicher Hinweis, sondern nur eine Empfehlung. Denn aus verfass­ungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen darf eine verbindliche Einrichtung von Beiräten derzeit nicht vorgeschrieben werden. Unabhängig der Zweifel und Fragen, ob dieses Instrument aufgrund vielschichtiger Interessenverknüpf­ungen von Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften bei einem Milliardengeschäft, welches die Arbeitsmarktreform darstellt, überhaupt tauglich wäre, Missbräuche oder Verdrängungs­effekte zu verhindern, scheint diese Kontrollfunktion als Leerlauf vorprogrammiert. Eigentlich hätte der DGB dies bei seiner Positionierung zur Bürgerarbeit in Sachsen-Anhalt und Thürin­gen wissen müssen. So bleibt wohl seine diesbezügliche Forderung nach örtlicher Mitsprachemöglichkeit der Sozialpartner über die Einsatzfelder und der Größenordnung der Bürgerarbeit ein Tiger ohne Zahn. Dagegen sind die Folgen der Arbeitsmarktreformen allen Akteuren bekannt, dass die Probleme in den Hartz IV-Bereich  durchgereicht werden, wo sie kumulieren. Die Zweiteilung der Arbeitsförderung erweist sich dabei selbst nach dem Urteil der Hartz-Evaluierung durch die Bundesregierung als „Achillesferse der deutschen Arbeitsmarktpolitik“.

Die bisherige Regelung für ALG II Empfänger mit einem Zuverdienst bis 800 € soll verändert werden. Der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion und der unionsgeführten Länder zur Neurege­lung des Hinzuverdienstes baut auf dem Konzept des Sachverständigenrats auf. Danach soll der Hinzuverdienst bis zu einem Einkommen von 400 € vollständig auf das Arbeitslosengeld II angerechnet und lediglich ein pauschaler Absetzbetrag von 40 € eingeräumt werden. Durch die Einführung dieser Geringfügigkeitsschwelle soll die Beschäftigung mit geringen Stundenzahlen und damit auch geringen Verdiensten unattraktiv werden. Auch ab einem Einkommen von 401 € soll künftig eine deutlich geringere Transferentzugsrate als bisher gelten.

Es erhebt sich nicht unerhebliche die Frage nach der arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Bedeutung dieser Planungen.
Von diesen Regelungen wären Millionen von Menschen betroffen. Demgegenüber steht ein angesagtes Kontingent von insg. 200.000 Stellen für Schwerstvermittelbare im Rahmen der JobPerspektive und dem Kommunal-Kombi. Wobei das Heer an Erwerbslosen, das nach neusten Erkenntnissen von Wirtschaftsminister Glos gleich als Million in den ÖBS einfließen soll, verbleibt weiterhin in der Obhut, aber auch unter der Sanktionsgewalt des Staates. Sollen da jetzt Millionen an übrig gebliebenen, d.h.: Erwerbslose, Teilzeitkräfte, prekär Beschäf­tigte u.ä. in Sippenhaft genommen werden???
Diese Frage drängt sich auf, wenn man das Arbeitspapier der AG Arbeitsmarkt weiter betrachtet: Denn der Sach
­verständigenrat schlägt eine Absenkung der Regelleistung um 30% vor, um den Anreiz für die Leistungsempfänger zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu erhöhen und die höheren Freibeträge im Bereich zwischen 200 € und 800 € finanzieren zu können. Diejenigen, die keine Be­schäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (gemeint ist der ÖBS) finden, müssen eine angebotene Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädi­gung aufnehmen, um ihren Bedarf auf Basis des heutigen soziokulturellen Existenzmini­mums sichern zu können. Dabei geht man davon aus, dass ca. 400.000 zusätzliche Arbeits­gelegenheiten (1 Euro-Jobs) eingefordert werden müssen, damit die angestrebte Wirkung erzielt wird. Um das Ganze abzurunden, enthält das Gutachten von Prof. Bofinger/Dr. Walwei neben weiteren Änder­ungsvorschlägen drei Kernelemente zur Neuordnung des Niedriglohnbereichs: Statt des heutigen pauschalen Absetzbetrages in Höhe von 100 € und der Freibeträge bis 1.500 € soll eine durchgängige Transferentzugsrate von 85% bis zu einem Einkommen von 750 € für Alleinstehende und 1.300 € für Paare gelten. Alternativ könnten statt einer prozentualen Aufwandspauschale von 15% niedrige Pauschalbeträge bei Teilzeit- oder Vollzeitbeschäfti­gung (60 € bzw. 120 €) eingeführt werden. Bis zur Höhe des Grundeinkommens (750 € für Alleinstehende und 1.300 € für Paare) werden über eine "negative Einkommensteuer" die geleisteten Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung – in Abhängigkeit von der geleis­teten Arbeitszeit (bis 15 Wochenstunden gar nicht, 15-30 Wochenstunden zu 50%, über 30 Wochenstunden zu 100%) – erstattet.

Aus Stellungnahmen der Verbände und Gutachter für die Anhörung im Bundestags­ausschuss für Arbeit und Soziales geht hervor, dass die unbefristet zahlba­ren Lohnzuschüsse von 75% für diesen kleinen Kreis von zum Teil auf erhebliche Skepsis Langzeitarbeitslosen bei den Fachleuten stoßen. Schon die Kritik der Sachverständigen am sozialen Arbeitsmarkt war vernichtend:
„Wer öffentliche Beschäftigung ausweitet, verbessert die Eingliederungs­chancen der Betroffenen nicht, sondern verschlechtert sie. Er provoziert Mitnahme- und Verdrängungs­effekte“.
Laut Aussage der BDA wäre es ein schwerer Fehler, jetzt nicht alle Anstrengungen auf die Vermittlung Langzeitarbeitsloser in den 1. Arbeitsmarkt zu konzentrieren, sondern große Kräfte für die Suche nach angeblich „nicht Vermittelbaren“ zu vergeuden.“ Einig seien sich die meisten Sachverständigen aber darüber, dass das Bruttoentgelt nicht nur zu 75 Prozent, sondern bis zu 100 Prozent erstattet werden sollte. [Entnommen aus: FAZ / Streit um Schwervermittelbare – Zuschüsse können zu Mitnahmeeffekten führen, 1.7.2007]

Augenwischerei
In Berlin, Berlin-Brandenburg wie auch die neuen Bundesländer bieten in mehrfacher Weise eine geeignete Projektionsfläche, um die Programme medientauglich wie euphorisch einfüh­ren zu können. Wie die Berliner Zeitung am 17.10.07 berichtete, will der Berliner Senat in den nächsten vier Jahren hierfür mehr als 125 Mio. EUR ausgeben, um Jobs für 10.000 (5%) der rund 200.000 Langzeitarbeitslosen zu finanzieren. Der Bund trägt dabei 75% der Kosten, das Land Berlin die restlichen 25%. Die als Arbeitnehmer bezeichneten Jobber sollen 1 300 € brutto im Monat erhalten – rund 250 € netto mehr als ein Hartz-IV-Empfänger im Durch­schnitt. Hingegen bewertet die IHK den öffentlichen Beschäftigungssektor kritisch. "Besser wären niedrigere Einstellungsbarrieren verbunden mit gezielten Bildungs- und Weiterbil­dungsangeboten", sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Das helfe Arbeitssuchenden und Firmen mehr als die Ausweitung staatlich finanzierter Beschäftigung. Die Grünen warfen dem Senat vor, mit dem Bundesprogramm für Langzeitarbeitslose "Löcher in der sozialen Infrastruktur" zu stopfen, die er selber mit seiner Kürzungspolitik verursacht habe.
Und nicht zu vergessen, dass hinter der neuen Gesetzgebung noch das Konzept der AG Arbeits
­markt steht. Wie aus dem Beschluss des Landtages Brandenburg vom 07.03.2007 hervorgeht, soll die Landesregierung nach Vorliegen der Ergebnisse der Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt die Umsetzung darin Enthaltener Zusatzangebote im Sinne eines 'Sozialen Arbeitsmarktes' konstruktiv begleiten. (Seite 8-9) http://www.parldok.brandenburg.de/parladok
u//w4/beschlpr/protokolle/45.pdf

Mit der Spezialförderung der kleinen Gruppen von so genannten schwervermittelbaren Langzeitarbeitslosen unter 25 Jahren, die für die neuen Arbeitskonditionen heran erzogen werden können und den Älteren, die man vor dem Abschieben noch nutzen möchte, wird eine gesellschaftspolitische Richtung angegeben, die die Zukunft unseres Landes erahnen lässt. Was aber ist für die Millionen an Erwerbslosen im Alter von 25 – 50 Jahren geplant? Bislang war es so, dass im Vorfeld großer Gesetzesänderungen zur Arbeitsmarktreform ein lautes Geschrei und Gerangel über die Medien ablief. Der Disput scheint in diesem Fall in die Auseinan­dersetzungen um den Mindestlohn verpackt. 2007, wo es jetzt um die Durch­setzung der wohl größten Eingriffe in die Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik ging, herrschte zu diesen Themen auf vielen Ebenen weitgehende Stille.
Die Ruhe vor dem Sturm könnte man sagen. Oder man wollte keine schlafenden Hunde wecken, bevor der Sturm die Existenz breiter Bevölkerungsschichten hinwegfegt.

Die einzige Antwort von uns als Gewerkschaftlern muss heißen:
„Keine sozialrechtlichen – sondern arbeitsrechtliche Verträge im Rahmen Öffentlich geförderter Beschäftigungen“

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