Zur aktuellen Entwicklung in Griechenland

Von Stephan Lindner, aktiv in der Attac PG Eurokrise
In den letzten Stunden hat sich die Entwicklung um Griechenland dramatisch zugespitzt. Manchem
geht bei den sich überschlagenden Ereignissen vielleicht etwas der Überblick verloren. Deshalb hier
der Versuch einer kurzen Zusammenfassung, wie und warum es zu der aktuellen Situation
gekommen ist.
Griechenland ist seit langem zahlungsunfähig und bräuchte eigentlich einerseits einen weitgehenden
Schuldenerlass, andererseits ein groß angelegtes Investitionsprogramm, um wirtschaftlich wieder
auf die Beine zu kommen. Die neue griechische Regierung war mit dem Ziel angetreten, beides
durchzusetzen, um so einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen.
Die Gläubiger betreiben seit Ausbruch der Krise eine andere Politik. Sie ignorieren die Staatspleite
und tun so, als seien die Zahlungsschwierigkeiten nur vorübergehender Natur. Das hat zur Folge,
dass Griechenland immer wieder neue Kredite braucht, um seine alten Kredite bedienen zu können.
Die Gläubiger können diese Situation ausnutzen, um der griechischen Regierung ihre Bedingungen
zu diktieren und nutzen dies, um in einem beispiellosen Maß Austeritätsmaßnahmen durchzusetzen.
Die neue griechische Regierung, die eigentlich mit dem Versprechen angetreten war, mit der
Austeritätspolitik zu brechen, soll dazu gezwungen werden, noch mehr bei den kleinen Leuten zu
kürzen. Nicht nur die soziale, auch die wirtschaftliche Lage des Landes verschlimmert sich dadurch
immer weiter.
Die griechische Regierung ist lange Zeit davon ausgegangen, dass den Institutionen (IWF, EZB und
EU-Kommission mit den dahinter stehenden Regierungen der Eurozone, insbesondere der
deutschen Bundesregierung) ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone auf Grund zu
befürchtender negativer Effekte wirtschaftlicher und geopolitischer Art viel zu riskant wäre.
Irgendwann würden sie einlenken, wenn die Regierung nur hart genug verhandeln und auf ihren
Forderungen beharren würde. Dies hat sich spätestens mit der Sitzung der Finanzminister an diesem
Samstag als Fehleinschätzung herausgestellt. Im ersten Teil dieser Sitzung verabschiedeten die
Eurofinanzminister ein Statement, dem der griechische Finanzminister explizit nicht zustimmte 1
und im zweiten Teil tagten sie gleich ganz ohne ihren griechischen Kollegen weiter, um darüber zu
beraten, wie sie sich im Falle einer zu erwartenden ungeordneten Staatsinsolvenz Griechenlands
verhalten sollten.

Bei dem, worüber die griechische Regierung mit den Institutionen in den letzten Monaten
verhandelt hat, muss man zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine sind die Bedingungen, die die
griechische Regierung erfüllen soll, um neue Kredite zu bekommen. Das andere sind die Kredite
selbst.
In den letzten Tagen wurde eine ganze Reihe von Forderungspapieren der unterschiedlichen
Akteure geleakt (die meisten davon gibt es, in englischer Sprache, im Blog der Financial Times zu
Brüssel, unter anderem ein Papier der Institutionen, in dem sie im Überschreibmodus die Angebote
der griechischen Regierung ‚korrigierten‘.
Dort wurde unter anderem der Vorschlag der griechischen Regierung, eine Sondersteuer von 12%
auf Unternehmensprofite von mehr als 500.000 Euro zu erheben, einfach gestrichen. Statt dessen
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1 Im Blog des griechischen Finanzministers kann man seinen Redebeitrag auf dem letzten Eurogruppen-Treffen in englisch lesen und einige Hintergrundinfos, wie es zu seinem Ausschluss und dem Statement ohne seine Zustimmung kam.
wurden zum Beispiel eine ganze Reihe von Kürzungen bei Pensionen gefordert. Dies ist nur eines
von vielen Beispielen für den klaren Bruch einer Vereinbarung, die die griechische Regierung und
die Institutionen zu Beginn ihrer Verhandlungen geschlossen hatten. Demnach wollte man sich zwar
gemeinsam auf Haushaltsziele einigen, dann sollte es aber der griechischen Regierung überlassen
bleiben, wie sie diese erreichen will. Wenn es also in der Abschlusserklärung vom letzten Treffen
der Eurogruppe heißt, die Institutionen hätte einen Vorschlag „making use of the given flexibility
within the current arrangement“ (deutsch: „unter Ausnutzung der Flexibilität im Rahmen der
aktuellen Vereinbarung“) gemacht, dann ist das eine reine Farce. Einer der wenigen Artikel, der sich
in deutschen Medien mit diesem Umstand in bemerkenswerter Klarheit auseinandersetzt ist
ausgerechnet der Gastbeitrag eines Londoner Bankers auf Zeit Online:
So entsteht der Eindruck, die legitimen politischen Prioritäten eines Staates werden bewusst
blockiert, mit dem Ziel, einen Regierungswechsel oder einen Austritt Griechenlands aus dem
Euroraum zu provozieren. Niemand hat das Recht, einen solchen Regimewechsel anzustreben.
Verfolgt man die Abfolge von Vorschlägen der Institutionen und der griechischen
Regierung, dann kann man nicht umhin festzustellen, dass die griechische Regierung im
Rahmen der Verhandlung eigentlich bereits schon so viele Zugeständnisse gemacht hatte,
dass dies mehr oder weniger einer Kapitulation gleich kam.
Neben den Bedingungen geht es aber auch noch um die Kredite, die damit verknüpft sind.
Da war wochenlang immer von 7,2 Milliarden Euro die Rede, die Griechenland noch aus
dem laufenden Rettungsprogramm ausbezahlt bekommen könnte. Dann kam der Freitag
und das Manager-Magazin titelte auf einmal: „Gläubiger würden Athen mit Milliarden
überschütten“. Was war passiert?
Aufklärung schafft wieder einmal die Financial Times und gemessen an dem, was dort
berichtet wird, kann man das, was sich das Manager Magazin in seinem Artikel erlaubt,
nur noch als plumpe Desinformation bezeichnen. Bei der Financial Times heißt es
nämlich, dass an dieser Summe eigentlich nichts neu wäre. Es würde sich exakt um das
Geld handeln, dass Griechenland schon immer als letzte Rate seines laufenden BailoutProgramms versprochen worden war. Aber wie erklärt sich dann die Differenz zwischen
7,3 Mrd. Euro und 15,3 Mrd. Euro? Das Rätsel lässt sich relativ leicht aufklären. Teil des
letzten Rettungspaketes sind noch einige Milliarden, die ursprünglich für die
Rekapitalisierung der griechischen Banken vorgesehen waren, bisher aber dafür nicht
gebraucht worden waren. Die griechische Regierung wollte Teile dieser Gelder
ursprünglich laut ihrem Wahlprogramm zur Bekämpfung der humanitären Katastrophe in
Griechenland einsetzen. Die Institutionen zogen diese Gelder allerdings, noch bevor die
neue Regierung in Athen ins Amt kam, aus Griechenland ab, damit diese darauf keinen
Zugriff hat. Es kommt allerdings noch besser: Die gesamten 15,3 Mrd. Euro sollen laut der
Auflistung der Institutionen, mit Ausnahme einer vergleichsweise geringen Summe von 0,5
Mrd. Euro, gar nicht erst nach Athen überwiesen werden, sondern direkt an die Gläubiger.
Wie die Financial Times zu dem Papier schreibt, soll das zusätzliche Geld aus dem
Bankenfonds vor allem dazu verwendet werden, Kreditrückzahlungen an die EZB zu
leisten, für die sonst kein Geld da wäre. Gleichzeitig soll die Regierung aus dem
Primärüberschuss, zu dem sie sich auf Druck ihrer Gläubiger verpflichten soll, noch
zusätzliches Geld für den Schuldendienst drauf legen.
Völlig außer Acht gelassen wird bei all diesen Berechnungen, dass die griechische
Regierung bereits in den letzten Monaten zahlreiche Schulden bedienen musste, für deren
Umschuldung eigentlich Gelder aus der letzten Tranche vorgesehen gewesen wären, die
bisher nicht zur Auszahlung kamen. Die griechische Regierung war dazu nur in der Lage,
weil sie die letzten Reserven zusammengekratzt hat, über die das Land noch verfügte.
Diplomatische Vertretungen waren aufgefordert, ihre Rücklagen nach Griechenland zu
überweisen, Kommunen sollten ihre überschüssigen Gelder an die Zentralregierung
transferieren. Die griechische Regierung steht finanziell mit dem Rücken zur Wand. Der
Hick-Hack der letzten Wochen dürfte die ohnehin schon vorher auf tönernen Füßen
stehende Prognose zur griechischen Schuldentragfähigkeit endgültig zur Makulatur
gemacht haben. Medienberichten zufolge waren bereits die Steuereinnahmen der ersten
fünf Monate um 1,7 Mrd. Euro eingebrochen (http://www.ntv.de/wirtschaft/Steuereinnahmen-brechen-stark-ein-article15316796.html). Die Gläubiger
Griechenlands schätzen sogar, dass das Haushaltsloch mittlerweile 2 bis 3,6 Milliarden
Euro betrage. Und darüber, ob nicht auch das griechische Bankensystem mittlerweile
wieder insolvent ist und dringend rekapitalisiert werden müsste, scheint im Moment lieber
niemand nachdenken zu wollen. Beim letzten Mal hatte allein das einen zweistelligen
mittleren Milliardenbetrag erfordert.
Trotzdem kommen laut Medienberichten die Institutionen in einem Papier für den
deutschen Bundestag zu dem Schluss, „dass ein von der griechischen Regierung
geforderter Schuldenschnitt nicht notwendig sei, auch wenn klar sei, dass die früher
angenommenen Ziele unter keinem der Szenarien erreicht werden können.“ Die Lücke will
man einfach, wie gehabt, durch zusätzliche Schulden finanzieren und der griechische
Schuldenstand würde dann eben ein paar Jahre später sinken.
Was die gegenwärtigen Vorschläge der Institutionen für die griechische Regierung
bedeuten würden, scheint damit klar: Während die verbliebenen Gelder aus der letzten
Tranche direkt in den Schuldendienst flössen und damit die Bedienung der griechischen
Kredite bei IWF und EZB bis November abgesichert wäre, wäre die griechische Regierung
wahrscheinlich bald schon nicht mehr in der Lage, ihren finanziellen Verpflichtungen
gegenüber der eigenen Bevölkerung nachzukommen. Kalkül der Gläubiger scheint zu
sein, dass sie spätestens dann zurücktreten müsste und wieder einer Regierung Platz
machen würde, die willfährig alles absegnet, was ihr von den Gläubigern vorgelegt wird.
Für die aktuelle wirtschaftliche Lage in Griechenland tragen die Gläubiger-Institutionen
mittlerweile eine große Mitverantwortung, denn sie ist nicht mehr nur eine Folge der
Mißwirtschaft vergangener griechischer Regierungen, sondern auch der verordneten
Maßnahmen dieser Institutionen, die den letzten griechischen Regierungen trotz aller
mittlerweile seit Jahren zu besichtigenden katastrophalen Folgen aufgezwungen wurde.
Heiner Flassbeck fasst das in einem u.a. bei Telepolis veröffentlichten Artikel sehr gut
zusammen:
Damit haben sich, jenseits aller kleinteiligen Kompromisse, die Gläubiger und vorneweg
Deutschland vollständig durchgesetzt. Sie haben ihre Ideologie von der Flexibilisierung,
der Privatisierung und dem Rückzug des Staates ohne Rücksicht auf die konkrete Lage
und die schlimmen Folgen der seit 2010 verschriebenen Flexibilisierungsmaßnahmen
durchgedrückt. Das ist ein Ausmaß an Borniertheit, Ignoranz und Arroganz, das
seinesgleichen sucht. Es ist das Ende des Europas, das einsichtige Politiker einst
suchten, als sie nach den Wirren des Krieges den Menschen Hoffnung auf eine bessere
und gerechtere Welt machen wollten. Die Folgen werden verheerend sein, und das ganz
sicher nicht nur für Griechenland.
Die aktuelle griechische Regierung wird vielleicht schon bald Geschichte sein. Eine gute
Nachricht für Europa ist das aber nicht. Denn ihre wesentlichen Forderungen, die nach
einem großzügigen Schuldenerlass und einem wirkungsvollen Investitionsprogramm, wie
sie Westeuropa und insbesondere die alte Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg
wirtschaftlich wieder auf die Beine brachten, bleiben auch dann weiterhin ohne Alternative,
wenn die aktuelle Krise in Europa überwunden werden soll. Von besonderer Tragik ist
dabei, dass ausgerechnet die deutschen Regierung eine der entscheidenden Kräfte hinter
dieser Politik ist. Denn aus unserer eigenen Geschichte, den katastrophalen Folgen der
Austeritätspolitik nach dem Ersten Weltkrieg einerseits, aber auch des großzügigen
Schuldenerlasses nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Marschallplan andererseits,
müssten wir eigentlich besser wissen, was auf dem Spiel steht.