Hartz IV – War da nicht mal was?

Die von Hartz IV Betroffenen: Die Vergessenen und Verstoßenen einer reichen Gesellschaft?

Ein Bericht aus dem sozialen Alltag einer Kleinstadt – von Dieter Carstensen

Zur Zeit rauschen die Meldungen zum „Bildungspaket“ für die Kinder von Hartz IV Betroffenen durch den Wald unserer Medienlandschaft. Das Angebot wird durch die Betroffenen bisher kaum abgefragt, die Medien berichten von bisher gerade einmal zwei Prozent Anträgen aus dem Kreis der Antragsberechtigten für das Angebot. Ich befürchte, dass große Teile der Öffentlichkeit, was von der Regierung durchaus gewollt zu sein scheint, daher zu dem Ergebnis kommen werden, „na so knapp kann es bei den Hartz’lern ja nicht sein, wenn sie jetzt nicht rennen und das Geld einfordern.“ Die Realität vor Ort sieht hingegen völlig anders aus. Seit Jahren engagiere ich mich als Sozialarbeiter ehrenamtlich für Betroffene von Hartz IV und am Wochenende hatten wir ein gemeinsames Treffen in unserer Kleinstadt im südlich-ländlichen NRW, was ein Schlaglicht auf die reale Situation der hilfsbedürftigen Menschen wirft, die weit entfernt ist, von den Vorstellungen der meisten Politiker, großen Teilen der Medien und der Wahrnehmung der Bevölkerungsmehrheit.

Meiner Einladung zu einem Treffen zu dem Thema „Die Veränderungen durch den Gesetzgeber für Hartz IV Bedürftige im Jahr 2011“ waren 34 Bedürftige gefolgt, darunter 14 alleinerziehende Mütter, die ohnehin einen Anspruch auf das sog. „Bildungspaket“ hätten. Insgesamt waren unter den 34 Anwesenden 27 Personen, deren Kinder ein Anspruch auf das „Bildungspaket“ haben.

Niemand der Anwesenden hatte bisher jedoch einen entsprechenden Antrag gestellt.

Niemand der Anwesenden hatte bisher darüber ausreichende Informationen erhalten.

Niemand der Anwesenden hatte jemals an Protestaktionen gegen Hartz IV teilgenommen.

Niemand der Anwesenden war Mitglied einer Partei, einer Gewerkschaft, eines Vereins oder eines Sozialverbandes.

Niemand der Anwesenden hatte eine Tageszeitung abonniert und über einen funktionierenden Internetzugang verfügten lediglich sechs der Anwesenden.

Lediglich 15 der Teilnehmenden kamen direkt aus dem Ortskern unserer Kleinstadt, in dem ca. 8000 Menschen leben, der Rest kam aus den zu unserer Stadt gehörigen, umliegenden Dörfern.

Diese Informationen sind als Einstieg in die folgende Erlebnisbeschreibung deshalb wichtig, um an dem Beispiel unserer Stadt einmal zu verdeutlichen, wie schwer es ist, die Betroffenen überhaupt zu erreichen und sie für gemeinsame Aktionen und Informationen zusammen zu bringen. Das Treffen erforderte von mir sechs Wochen intensive Vorbereitung, um alle zu erreichen, sowie teilweise auch einen kostenlosen Fahrdienst anbieten zu können, da bei uns auf dem Land am Wochenende der öffentliche Nahverkehr dünn gesät ist und schon alleine die Fahrtkosten manchen von der Teilnahme abgehalten hätten.

Von den 34 Personen haben 4 gar kein Telefon und 14 nur sogenannte „Prepaid-Handys“, um die Kosten im Griff zu haben und wenn die Karte mal wieder gegen Monatsende leer telefoniert ist, können sie nicht zurückrufen, wenn noch Fragen offen sind. Alleine das Kontakt miteinander halten ist also schon schwierig.

Wie sehr die finanzielle Not dieser Menschen ihren Handlungsspielraum einengt, möchte ich einmal an folgender Musterrechnung verdeutlichen, die für alleinstehende Hartz IV Bezieher aus meiner praktischen Erfahrung mit diesen Menschen real ist und die Berechnung der Bundesregierung zu den Regelsätzen der Lüge straft:

Von 364 Euro Hartz muss ein lediger Erwachsener ca. 40 Euro Strom bezahlen, ca. 15 € für eine Haftpflicht u. Hausratversicherung, ca. 25 für € Telefon, ergibt einen Rest von 284 Euro. Desweiteren muss er 50 Euro monatlich als Reserve zurücklegen, was die ARGEn mittlerweile auch kontrollieren sollen, da die einmaligen Beihilfen, z.b. für einen kaputten Fernseher, Waschmaschine, Herd, Renovierung, evtl. Reparaturen d. Handwerker etc., gestrichen wurden, sie sind jetzt im Regelsatz mit eingerechnet, im Gegensatz zur früheren Sozialhilfe. Bleiben bei vernünftiger Haushaltführung also 234 Euro Restbetrag für alles andere, wie z.B. Porto, Fahrkarte, Kleidung, Arzt-/Medikamentenzuzahlung, Haushaltsmaterialien etc.!

Alleine eine ausgewogene Ernährung würde übrigens nach Meinung von Ernährungswissenschaftlern bei Ledigen ca. 240 Euro pro Monat kosten. Mein Hausarzt, ein Duzfreund von mir, fragte mich vor vier Jahren mal, er hat auch viele Hartz IV Bedürftige unter seinen Patienten, warum die Zahl der psychosomatisch Erkrankten und vom körperlichen Verfall Betroffenen unter seiner Patientenschaft so rasant zu nehmen würde. Ich habe es ihm dann an dieser Musterrechnung erklärt, als Arzt hatte er sich damit nie beschäftigt, aber danach sah er diese Patienten mit ganz anderen Augen.

Wo das Geld für eine vernünftige Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben, wie es das Grundgesetz vorsieht, herkommen soll, wenn man eine reale Rechnung mit dem Hartz Regelsatz aufmacht, bleibt das Geheimnis der Regierenden.

Als Sozialarbeiter sehe ich täglich, wie sehr die meisten Betroffenen jeden Cent rumdrehen. Die Sozialhilfe gab es ja schon vor Hartz IV, ihre Folgen, vor allem für Alleinstehende und Rentner sind gründlich untersucht worden. Im Schnitt sinkt bei diesen armseligen Lebensverhältnissen die Lebenserwartung um 10 Jahre.
Zynisch formuliert heißt Hartz IV- oder Sozialhilfebezug: Früherer, gesetzlich verordneter Tod. So sieht die Realität aus, im Staate Deutschland und nicht anders.

Wer von 234 Euro monatlichem Nettorestbetrag für alles, dann noch Kettenraucher oder Alkoholkonsument in größerem Umfang sein möchte, spart sich das beim Essen und der Kleidung ab. Aber das machen höchstens fünf Prozent der Betroffenen, nach allen soziologischen Untersuchungen, selbst denen der Bundesanstalt für Arbeit und wer will es Menschen, die in der Hoffnungslosigkeit leben, verdenken, auch mal in eine Scheinwelt zu flüchten? Der Anteil von rauchenden und saufenden Hartz IV Empfängern ist deutlich niedriger als bei Bundestagsmitgliedern.

Zitat: „Schon in den 90er Jahren hatte der spätere Außenminister Joschka Fischer den Deutschen Bundestag einmal eine “unglaubliche Alkoholikerversammlung” genannt. Diese Behauptung löste große Empörung auf den Hinterbänken aus. Der Gegenbeweis wurde nicht angetreten.“

Link zum Zitat: http://www.wir-in-nrw-blog.de/2010/07/alkohol-in-der-politik-oder-die-gemeinsamkeit-der-demokraten/

95 Prozent der Betroffenen hingegen versuchen bei schmalster Haushaltsführung mit ihrem Geld irgendwie zu ÜBERLEBEN, mehr nicht.

Und damit sind wir bei unserem Treffen am Wochenende:

Alleine die Fahrtkosten, oder die zwei Tassen Kaffee in der Gaststätte, bei unserem Treffen, spürten die Anwesenden finanziell deutlich und sagten es auch. Einige waren auch mit dem Bus gekommen, Hin- und Rückfahrt je 2,40 Euro, plus zwei Tassen Kaffee a 1,60 Euro, also 8 Euro für ein Treffen, was andere finanziell gar nicht spüren würden, für die Anwesenden aber ein finanzielles Problem war.

Von den Dörfern kostet jeder Besuch der ARGE also mindestens ca. 5 Euro, ebenso wie jeder Einkauf in der Stadt, an Schwimmbadbesuche mit den Kindern ist da gar nicht zu denken, Fahrt zum nächsten Freibad hin und rück 9,80 Euro plus Eintritt. Genau diese Fragen bestimmten die Diskussion auf unserem Treffen.

Woher kann man überhaupt Zuschüsse für das Nötigste bekommen, um den Kindern wenigstens etwas bieten zu können?

Über das Bildungspaket hatten fast alle Anwesenden keinerlei Informationen erhalten, woher denn auch? Logischerweise wussten sie auch nichts von einer Antragsfrist bis Ende April und einem rückwirkenden Anspruch ab 1.1.11. Nur Einer der anwesenden wusste darüber hinaus, dass zum 1.1.11 zusätzlich wenigstens ein rückwirkender Anspruch für die Warmwasseraufbereitung in Höhe von 8 Euro besteht, wenn das Wasser nicht über die Zentralheizung, sondern z.B. mit einem Durchlauferhitzer, erwärmt wird.

8 Euro sind viel Geld für diese Menschen, aber die Informationen, über das Wenige, was ihnen zu steht, erreichen sie oft nicht, gerade hier bei unseren ländlichen Strukturen. Der Eine, der davon wusste, hatte den Zuschuss beantragt und direkt mitgeteilt bekommen, dass die Rechenprogramme der Behörde wohl erst im Juni so weit wären, dass Geld auch auszahlen zu können!

Die anwesenden Eltern sagten zum Bildungspaket, es wäre ja schön und gut, wenn der Vereinsbeitrag für den Sportverein erstattet würde, aber wie die Fahrtkosten zu den Trainingsstunden aufbringen, wie die Sportkleidung für die Kinder finanzieren?

Petra*, 39 Jahre, alleinerziehende Mutter einer zwölfjährigen Tochter, die auf das Gymnasium geht, sagte:

„Dieter, ich spare mir alles für Lisa* vom Munde ab, damit meine Kleine es besser hat, ich selber habe 3 Paar Schuhe, eins für den Winter, eins für den Sommer und Sandalen. Eine Jacke für den Winter, eine für den Sommer. Kein Internet oder PC, obwohl die Kleine das gerne hätte, auch für die Schule, um Anschluss zu halten, ich drehe jeden Cent zweimal und nun kommen die mit dem Mogelpacket an? Den Schulzuschuss, den sie darein gepackt haben und so toll verkaufen, hatten wir vorher auch! Ich fühle mich verar …“

Gerd*, 52 Jahre, arbeitsuchender Techniker, verheiratet, zwei erwachsene Kinder sagte:

„Klar, wenn ich mal was mitbekäme, wo eine Demo ist, ich würde mitmachen, wenn es sich lohnt. Aber wenn denn mal was in Köln ist, kostet es über 20 Euro hin und rück und wenn dann da nur ein paar Hansels außer mir sind, ärger ich mich über das Geld. Die Parteien und Gewerkschaften organisieren da gar nichts, es gab nur eine Demo vor Jahren, kurz vor Einführung von Hartz, wo auch kostenlose Busse von der Gewerkschaft nach Köln zur Demo fuhren, da waren wir auch 100.000 Leute, aber dann haben die Gewerkschaftsbosse und der Schröder gekungelt und wir waren die Dummen! Und die Linken? Von denen hörste und siehste hier in Oberberg doch nix. Gibt es die hier überhaupt?“

Jutta*, 49 Jahre, 14 jährige Tochter, verheiratet, der 54 jährige Mann ist seit 9 Jahren arbeitsuchender Metzgermeister und wollte nicht mit zum Treffen, da er meint, „das bringt doch alles nix mehr“, sagte zu ihrer Situation:

„Mein Mann hat resigniert. Der Josef* hat 356 Bewerbungen im Laufe der Jahre geschrieben, 4 mal ein Vorstellungsgespräch gehabt. Alle vier Firmen wollten zu einem Lohn, der nur Hohn war, billigst einen gelernten Metzgermeister haben, mit all der Verantwortung und Fähigkeit, aber einem Lohn, unter Hilfsarbeiterlohn, von dem wir nicht hätten leben können. Ich will aber, dass es unserer Tochter besser geht, ich gebe nicht auf, aber der Josef ist depressiv geworden, muss Tabletten nehmen, ich glaube nicht, dass er sich noch mal aufrappelt. Er ist einfach zu oft getreten worden. Im Dorf sind wir wie Aussätzige, wir können ja an nichts mehr teilnehmen. All die Vereine, die das Dorfleben ausmachen, wo wir früher drin waren, wir können nicht mal für einen den Mitgliedsbeitrag zahlen. Das was wir übrig haben, investieren wir in unsere Kleine. Die 100 Euro Schulzuschuss waren ja schon ein Hohn! Damit für ne 14 jährige die Bücher, Hefte und alles kaufen? Nee, das sparen Josef und ich uns vom Mund ab.“

Für mich war es beklemmend, die tiefe Resignation der Anwesenden zu spüren, ihre Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Bei den Allermeisten war jede Hoffnung in eine wirkliche und ernsthafte Unterstützung durch die Parteien oder Gewerkschaften geschwunden.

Peter*, 56, arbeitsuchender Chemielaborant, sagte:

„Wenn ich irgendwo spüren würde, da meinen es welche ernst, rufen zu einer großen Demo auf, die dann keine Eintagsfliege bleibt, sondern wo man absehen kann, es geht weiter, bis das Unrecht mit dem Hartz Verbrechergesetz ein Ende hat, dann würde ich mitmachen, auch wenn es mein letztes Hemd kostet. Aber wer von uns Betroffenen soll so was organisieren? Das wissen die Gangster in Berlin genau: Wir Hartz IV’ler können den Widerstand von uns aus nicht organisieren, dazu halten sie uns mit Absicht finanziell so knapp, sonst könnten wir ja auf die Idee kommen, Flugblätter zu drucken und sowas und uns auch auf dem Land organisieren, aber wenn es schon an der Busfahrkarte scheitert. Schei… ist das! Von wegen, was manche sagen, wir wollten uns nicht wehren! Können vor Lachen, das ist das Problem, mit den paar Penunze.“

Besonders kritisch fragten die Anwesenden nach, warum denn nun keine Partei oder Gewerkschaft endlich Klage vor der EU gegen die Hartz Gesetze einreichen würde und wenn sie selber nicht klageberechtigt wären, warum sie dann nicht stellvertretend für alle, ein paar ihrer Mitglieder den Klageweg finanziell ermöglichen würden und das Ganze durchziehen.

Gabi*, 52 Jahre, alleinstehende Schneidermeisterin, seit der Pleite ihrer Textilfabrik vor 9 Jahren arbeitssuchend, sagte:

„Bisher bin ich immer wählen gegangen. Ob ich das nochmal mache, weiß ich nicht. Nazis wähle ich sowieso nicht, aber die anderen, was tun die denn wirklich für uns? Ich will Taten sehen, keine Sprüche hören, davon kann ich mir nichts kaufen. Geld ist doch genug da, für Banken, Atomkonzerne, Hoteliers – nur wir gehen immer leer aus. Mich ko… das an, jetzt labert alles über Öko und Atom und wir wissen am Ende des Monats nicht, mehr weiter, wir leben nur noch vom Ersten bis zum Ersten, immer die finanziellen Löcher von Monat zu Monat schieben. An uns denkt doch keiner, weil sie wissen, wir können uns nicht richtig wehren.“

Als Quintessenz dieses mich persönlich berührenden Treffens nahm ich mit:

Die Betroffenen sehen ihre Situation sehr realistisch. Viele haben noch längst nicht resigniert, aber wenn sie ihre Kraft und ihr weniges Geld einbringen, dann nur in Aktionen, die wirklich etwas bewegen. Es gab ja voriges Jahr z.B. eine überall großspurig angekündigte „Großdemo“ gegen Hartz in Oldenburg, wo dann tatsächlich nur knapp 8000 Leute waren, da kann ich verstehen, wie solche Fehlplanungen bei den Betroffenen ankommen.

Klar wurde auch, dass sich niemand der Anwesenden vor den Karren EINER Partei oder Organisation spannen lassen will, dazu sind die gemachten Erfahrungen zu schlecht. Dass eine solche Rechnung nicht aufgeht, beweist das Beispiel der Die Linke.

Als einzige Partei lehnt sie die Hartz IV Gesetze ab. Aber sie wird von den Betroffenen nicht als die Sachwalterin ihrer Interessen angesehen, ihre Wahlergebnisse bei den jüngsten Landtagswahlen, mit knapp 3 % Stimmanteil und ihr Stimmanteil bei den jüngsten bundesweiten Wahlumfragen mit knapp 7 % Stimmanteil, wohlgemerkt bei ca. 25 % sozial verarmter Menschen in der Bundesrepublik, beweist dies mehr als deutlich.

Die Geschichte der Weimarer Republik hat es bewiesen: Die „Verelendungstheorie“ der Kommunisten, die davon ausging, dass Verarmte links wählen, war ein historischer Fehler sondergleichen und trug mit zum Untergang der Weimarer Republik bei.

In unserer Runde setzten die meisten Anwesenden in der abschließenden Diskussion darauf, dass SPD und Grüne ihre Fehler mit Hartz IV, dem Niedriglohnsektor, der Leiharbeit, den Steuererleichterungen für Reiche, der Einführung der Hedge-Fonds usw. einsehen und korrigieren werden.

http://www.dieter-carstensen-waldbroel-nrw.homepage.t-online.de/532901.html

Ich will das nicht werten, ich beschreibe nur, aber in meinen Gedanken war:

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

*Anmerkung: Alle Namen und Daten zum Schutz der Zitierten geändert. Der Verfasser

Runder Tisch muss das Bildungspaket komplett neu schnüren

Bonn – Das Erwerbslosen Forum Deutschland sieht in einem runden Tisch zum Hartz IV-Bildungspaket nur dann eine Chance, wenn das ganze Paket komplett neu geschnürt wird und alle bürokratischen Hemmnisse abgebaut werden. Das bisherige Verfahren und auch die Informationen an die betroffenen Eltern würde Bildung- und Teilhabe der Kinder eher verhindern. Es sei schon bezeichnend, dass Ministerin von der Leyen sich erst dann bewegt, wenn der Vorwurf erhoben wird, ihr Ministerium würde die Kindern um rund 250 Millionen Euro abzocken. „Wir haben seit 14 Tagen permanent darauf hingewiesen, dass Eltern kaum wüssten, dass ihre Kinder anspruchsberechtigt sind. Ebenso haben wir bemängelt, dass vor Ort kaum Strukturen vorhanden sind“, sagt Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland. In vielen Jobcentern suchte man noch am Freitag vergebens Hinweise in den Wartezonen , dass die rückwirkenden Leistungen nur im April beantragt werden können.

„Aus unserer Sicht muss es bei einem runden Tisch um die folgenden Punkte gehen. Rückwirkende Leistungen für die Monate Januar bis März müssen unbürokratisch und ohne Antragstellung nachgezahlt werden. Es gibt keinen Grund, warum dafür ein Antrag und Nachweise erforderlich sind. Alle Gelder, die für Lernförderung angedacht sind, gehören in die Schulen und keineswegs in privatwirtschaftliche Nachhilfeinstitute. Schulen müssen so ausgebaut werden, dass alle Schüler in den Genuss eines Mittagessens kommen. Wenn Ursula von der Leyen den Anspruch hat, dass Kinder beispielsweise mein Musikinstrument erlernen sollen, dann muss sie auch dafür sorgen, dass dies auch möglich ist. Mit zehn Euro für Teilhabe wird man das sicher nicht hinbekommen. Gleiches gilt für zahlreiche andere Angebote in der Freizeit. Aus unserer Sicht müssen bürokratische Anträge die absolute Ausnahme bleiben und Gelder direkt an die Eltern ausgezahlt werden, damit Kinder und Eltern selbst über die Verwendung entscheiden“, fordert Behrsing.

Das Erwerbslosen Forum Deutschland glaubt nicht, dass die bisherige Handhabung des Bildungs- und Teilhabepaket vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Echte Teilhabe sei nicht für zehn Euro zu haben.

Weitere Infos und Downloads unter: http://www.erwerbslosenforum.de/

Die Linke im Landtag fordert NRW-Card für einkommensarme Menschen

Düsseldorf – Die Fraktion DIE LINKE. stellt heute im Landtag ihren Antrag zur Einführung eines Sozialtickets („NRW-Card“) vor und löst damit eines ihrer zentralen Wahlversprechen ein.

Der politische Hintergrund: In NRW leben rund zwei Millionen Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind: Hartz-IV-Bezieher/-innen, Grundsicherungsempfänger/-innen, Niedriglohnbezieher/-innen. Diese Menschen können sich Fahrkarten oder Besuche von Kulturveranstaltungen kaum leisten, weil sie ihr geringes Einkommen ganz für ihre Existenzsicherung ausgeben müssen. Damit sind sie von Mobilität und einer aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben faktisch ausgeschlossen.

DIE LINKE will, dass das Land den einkommensarmen Menschen in NRW eine „NRW-Card“ für maximal 15 Euro pro Monat zur Verfügung stellt, mit der sie alle Verkehrsangebote und alle kulturellen Angebote des Landes nutzen können.

Verärgert ist die Fraktion die LINKE daher über die Haltung der Minderheitsregierung zum Thema: „Zu einer guten und sozialen Verkehrspolitik gehört auch bezahlbare Mobilität für alle Menschen in NRW, auch für Einkommensarme. Noch im Januar 2010, vor den Landtagswahlen vom 9. Mai, haben CDU und Grüne im VRR einen Koalitionsvertrag geschlossen und unter anderem die Einführung eines Sozialtickets vereinbart. Das jetzt vom VRR geplante, vergünstigte Viererticket hat aber mit einem Sozialticket gar nichts zu tun“, empört sich Bärbel Beuermann, Fraktionsvorsitzende und verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag NRW.

Carolin Butterwegge, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion, ergänzt: „Ein Sozialticket, das diesen Namen auch verdient, muss von den Verkehrsverbünden und Aufgabenträgern zu einem Preis angeboten werden, der sich an dem im Hartz IV-Regelsatz vorgesehenen Anteil für den ÖPNV orientiert. So ist ein Sozialticket auszurichten: Unbürokratisch, einfach und gerecht. Wir wollen Teilhabe und Mobilität für alle. Hier ist die Landesregierung in der Pflicht!“

Man wisse, dass ein ähnliches Verständnis auch seitens des DGB und bei vielen Kolleginnen und Kollegen bei Grünen und SPD vertreten würde, betont Bärbel Beuermann. „Es wird nun an uns liegen, das drohende Scheitern eines Sozialtickets für NRW gemeinsam und konsequent zu verhindern. Mich erinnern diese halbgaren, unzureichenden Kompromisslinien allerdings sehr stark an den verkündeten Realitätscheck, den Hannelore Kraft  ihren Wahlversprechen angedeihen lassen wollte“, so die Fraktionsvorsitzende.

Antrag_endgültig

Folder Linksfration Sozialticket end

Nur diesen Monat: Anträge für Hartz IV-Bildungspaket stellen und 108 Euro pro Kind sichern

Bonn – Eltern die Hartz IV-Leistungen, Wohngeld, Sozialhilfe, Leistungen nach dem Asylleistungsbewerbergesetz oder den Kinderzuschlag beziehen sollten noch in diesem Monat das sogenannte Bildungs- und Teilhabegesetz beantragen. Nur so kommt jedes Kind in den Genuss, 108 Euro rückwirkend vom 1 Januar zu erhalten. Darauf weist das Erwerbslosen Forum Deutschland hin. Allerdings läuft die Frist nur bis zum 30 April. Wer bis dahin keinen Antrag gestellt hat, geht leer aus. Der Betrag setzt sich aus 78 Euro für das Schulmittagessen (monatlich 26 Euro) und 30 Euro (10 Euro für den Teilhabegutschein) zusammen. Für die Auszahlungen müssen keine Nachweise erbracht werden (§ 77 Abs. 11 SGB II).

Das Erwerbslosen Forum Deutschland kritisiert, dass weder das Bundesarbeitsministerium noch die verschiedenen Behörden die Eltern informieren, dass ihre Kinder einen Anspruch haben und unverzüglich ein Antrag für rückwirkende Leistungen gestellt werden muss. „Viele Eltern wissen überhaupt nicht, dass sie z.B. mit dem Bezug von Wohngeld überhaupt einen Anspruch haben. Wir fordern das Bundesarbeitsministerium und die verschiedenen Behörden auf, die Eltern darüber unverzüglich zu informieren. Denn wenn Kinder einen Rechtsanspruch haben, ist der Gesetzgeber und die ausführenden Behörden auch verpflichtet dafür zu sorgen, dass das Recht auch in Anspruch genommen werden kann, so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.

Auch Asylbewerber sollten für ihre Kinder einen Antrag stellen. So hatte der Berliner Senat am 5. April beschlossen, dass die Leistungen aus dem Hartz IV-Bildungspaket auch an Asylbewerberkinder ausgezahlt werden. Sollten die Sozialämter aus anderen Bundesländern diese Anträge ablehnen, dürften nach Ansicht des Erwerbslosen Forum Deutschland gute Chancen vor Gerichten bestehen.

Weitere Infos und Downloads unter: http://www.erwerbslosenforum.de/nachrichten/10_102011100410_432_1.htm

Jobcenter Gelsenkirchen verschläft das Hartz IV-Bildungspaket

Bonn/Gelsenkirchen – Eine Gelsenkirchener Hartz IV-Bezieherin hatte für ihre Kinder einen Antrag für das Bildungspaket gestellt, nachdem Arbeitsministerin Ursula von der Leyen am 25. Februar die betroffenen Eltern aufgefordert hatte, sofort Anträge zu stellen, damit Leistungen auch rückwirkend zum 1. Januar für die Kinder ausgezahlt werden können. Am 30. März, fünf Tage nach der Unterzeichnung des Gesetzes durch Bundespräsident Christian Wulf erhielt sie vom Jobcenter ein Schreiben, dass das Gesetz nicht in Kraft getreten sei. Aus diesem Grunde könnte dem Antrag nicht entsprochen werden.

Wörtlich hieß es in der Absage des Jobcenters: „Wie sie vielleicht aus der Presse entnommen haben, konnte nach dem Scheitern der Gesetzesvorlage über Leistungen für Bildung und Teilhabe im Bundesrat auch im Vermittlungsausschuss keine Kompromisslösung gefunden erzielt werden. Aus diesem Grunde ist das Gesetz nicht zum 1.1.2011 in Kraft getreten“.

Dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland:

„Mir scheint, dass das Jobcenter Gelsenkirchen eine Mitarbeiterin beschäftigt, die man als Schlafmütze des Jahres bezeichnen darf. Jedenfalls scheint sie nicht so vertraut mit der Presse zu sein, sonst hätte sie gut fünf Wochen nach Verabschiedung des Gesetzespakets mitbekommen können, dass ihr Sachstand im Dezember 2010 stehen geblieben war. Ich hoffe, dass dies eine Einzelentscheidung einer schläfrigen Mitarbeiterin ist und nicht ein Mustertext des Jobcenters Gelsenkirchen. Kosten für den jetzt notwenigen Widerspruch entstehen dem Jobcenter auf jeden Fall“.

Das Erwerbslosen Forum Deutschland hatte diese Woche das Bildungspaket und den Umgang damit als ein völliges Desaster bezeichnet. In fast kaum einer Kommune gäbe es derzeit Strukturen, um den etwa 2,5 Millionen bedürftigen Kindern aus Geringverdienerfamilien mehr Zukunftschancen zu eröffnen. Die Initiative forderte die Bundesagentur für Arbeit, Sozial- und Wohnungsämter auf, betroffene Familien sofort zu informieren, damit die Leistungen des Bildungspakets umgehend beantragt werden. „Wenn Arbeitsministerin Ursula von der Leyen auf ihrer Internetseite vollmundig ankündigt, dass Kinder jetzt einen Rechtsanspruch auf Bildung hätten, hat sie auch dafür zu sorgen, dass dieses Recht allen Kindern zuteil wird, kritisierte Behrsing. Nichtinformation, Anträge und Fristen verwehrten den Kindern ihre Rechte. „Es entsteht der Eindruck, dass über diesen Weg Gelder eingespart werden sollen“, erklärte Behrsing weiter.

Schreiben des Jobcenters Gelsenkirchen vom 30. März jobcenter_gelsenkirchen