Wie in Deutschland der Akademiker-Nachwuchs klein gehalten wird

(oder: Es geht um Geld, nicht um Bildung)
Von Dipl.-Inf. (FH) Mario Pehle
www.errorinitus.de

Im Zuge des Bologna-Prozesses waren und sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bestrebt, eine einfache Vergleichbarkeit im Hochschulwesen zwischen den Staaten zu etablieren. Dazu wurden und werden in Deutschland die Studiengänge sukzessiv auf die Studienabschlüsse Bachelor und Master umgestellt. Ein Absolvent, der als Abschluss ein Diplom erarbeitet hat, befindet sich mit diesem etwa in der Mitte von Bachelor und Master. Um die Wertigkeit dieses Diploms in anderen EU-Staaten ermitteln zu können, ist ein höherer Aufwand zu tätigen, als nach der Vereinheitlichung. Das Risiko, dass ein Absolvent dabei trägt, eher in Richtung Bachelor herabgestuft zu werden, kann nicht einfach unterschlagen werden. Diesem Sachverhalt ist sich wahrscheinlich jeder Diplom-Student bewusst. Und darum bietet beispielsweise die Technische Fachhochschule Berlin vor allem seinen Diplom-Absolventen an, den Abschluss durch ein Aufbaustudium zum Master aufzuwerten – das Ganze innerhalb zweier Semester. Somit kommt eine Regelstudienzeit von 8+2 Semestern zusammen, in der zwei Abschlussarbeiten und zwei an die Abschlussarbeiten angeschlossene mündliche Prüfungen absolviert wurden.

Jetzige Bachelor-Studenten haben im Prinzip Glück: Denn für sie besteht die Möglichkeit der Aufwertung zum Master durch Unterstützungsleistungen nach dem BAföG. Für Diplom-Absolventen besteht diese Möglichkeit, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht, obgleich von einer „prinzipiellen Förderungsfähigkeit“ des Aufbaustudiengangs ausgegangen wird.

Was heißt das jetzt für den Diplom-Absolventen: Möchte er einen europaweit vergleichbaren Abschluss innehaben, so muss er sich um eine andere Finanzierungsgrundlage kümmern. Da innerhalb Deutschland ein Diplom durch die Art, wie das Studium aufgebaut ist, höherwertig angesehen wird, als der Bachelor-Abschluss, wird der Absolvent sich wohl dafür entscheiden, seinen Lebensunterhalt durch reguläre Arbeit – entweder als Angestellter oder Selbständiger – zu erwirtschaften. Er sieht sich nun aber mit dem Problem konfrontiert, dass der Aufbaustudiengang, weil er auch von Bachelor-Absolventen besucht wird, als Vollzeitstudium angesehen wird. So wird er irgendwann zu dem Schluss kommen, dass die durch die Studienordnung einkalkulierten 2 Semester von ihm wohl kaum eingehalten werden können. Die Arbeit, die der Aufbau-Student ausübt, muss ihm seinen gesamten Lebensunterhalt finanzieren. Je mehr der Student arbeitet, desto mehr kann er verdienen, desto weniger Zeit bleibt allerdings für das Studium und desto länger wird es dauern. Gerade in der Zeit, in der er die Master-Arbeit anfertigen soll, kann er sich sicherlich nicht erlauben, viel zu arbeiten. Da das Aufbaustudium als Vollzeitstudium festgelegt ist, lässt sich auch schwerlich begründen, warum dem Studenten eine längere Bearbeitungszeit zugestanden werden sollte, als beispielsweise Bachelor-Absolventen, die zum Master aufwerten wollen. Der Student ist also angehalten, eine Arbeit zu finden, die ihm nicht nur beispielsweise als halbe Stelle genauso viel Geld einbringt, wie einem Vollzeit-Arbeitendem, sondern die ihm sogar noch Geld einbringt, das er zurücklegen kann für das Abschluss-Semester.

Sollte er – aus irgendeinem Grund – daran gehindert sein, solch eine gut bezahlte Arbeit zu finden, so muss sie ihm aber mindestens ein von Förderungen unabhängiges und zum Leben ausreichendes Einkommen ermöglichen. Tut sie das nicht, hat der Student das Nachsehen. Denn nun ist er in einer Zwickmühle, die gern folgendermaßen kommentiert wird: „Wenn das Studium keinen Job ermöglicht, der gut bezahlt ist, so muss man überlegen, ob das Studium wirklich Sinn gemacht hat und das Aufbaustudium auch weiterhin Sinn macht.“ Die Frage über die Sinnhaftigkeit eines Studiums stellt sich vor allem Jener, der aus finanzieller Sicht denkt. Was jedoch sagt die Politik dazu? War es nicht sie, die für gut ausgebildete Bürger eintrat? Wenn es nur deswegen ein Hemmnis für eine gut bezahlte Arbeit gibt, weil beispielsweise gerade keine hochqualifizierten Absolventen benötigt werden, so gräbt man sich mit der aktuellen Regelung die Kompetenz für eine spätere Verbesserung der Wirtschaftsverhältnisse ab. Und dann wird der Ruf wieder laut, Deutschland habe nicht genug qualifiziertes Personal. Oder wie sieht es bei behinderten Studenten aus: Diese haben erfahrungsgemäß viel häufiger ein Hemmnis, einen gut bezahlten Job zu finden, weil beispielsweise dem Arbeitgeber mehr Pflichten als bei einem regulären Angestellten gesetzlich auferlegt sind. Würde nicht ein aufgewerteter Abschluss dem behinderten Menschen mehr Chancen einräumen, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen? 

Findige Menschen kämen wohl auf die Idee, dass, wenn das Geld aus einer Beschäftigung nicht reicht, den Lebensunterhalt abzusichern, der Aufbau-Student dann doch staatliche Förderung nach dem SGB II erhalten kann – oder wie landläufig gesagt wird: Hartz IV beziehungsweise ALG II. Doch das ist nicht korrekt. Denn laut SGB gilt die Person vorrangig als Student und wenn, dann erst nachrangig als erwerbsfähig. Erschwerend kommt hinzu, dass das Aufbaustudium als Vollzeitstudium festgelegt ist und somit der potenzielle Leistungsträger argumentieren kann, der Student stünde dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung. Selbst wenn der Student nachweisen kann, dass er beispielsweise eine mindestens 12-montige, sozialversicherungsfähige Tätigkeit hinter sich hat, hat er kein Anrecht auf nun ALG I. Denn auch hier wird er vorrangig als Student gewertet. Für beide Arbeitslosengeld-Typen gilt außerdem, dass das Studium „dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG“ ist. Das heißt also: Die Amt für Ausbildungsförderung hat keine rechtliche Grundlage, BAföG zu gewähren, die Agentur für Arbeit bzw. kommunale Träger haben keine Möglichkeit, den Studenten – ob in Arbeit oder nicht – zu unterstützen.

Nun kann es sein, dass wieder eine findige Person auf die Idee kommt, dem Studenten zu empfehlen, zum Sozialamt zu gehen. Doch hier wird dem Studenten gesagt, er sei „prinzipiell erwerbsfähig“ und somit ist, wenn nicht die Agentur für Arbeit, so doch der kommunale Träger verantwortlich. Vielleicht sagt eine noch viel findigere Person nun, dass der Student ja zumindest Wohngeld beantragen könnte. Doch Wohngeld wird für Studenten nur in sehr seltenen Fällen bewilligt. Ist der Student darüber hinaus gerade arbeitslos, so wird ihm sowieso kein Wohngeld bewilligt, da er nicht nachweisen kann, wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet.

Und da es immer einen noch findigeren Menschen gibt, könnte der auf die Idee kommen, dass vielleicht Kindergeld- oder Unterhaltszahlungen zu leisten sind. Aber auch hier gilt: Das ist nicht möglich, da der Student durch seinen Diplom-Abschluss eine abgeschlossene Berufsausbildung hat und somit weder kindergeld- noch unterhaltsberechtigt ist. 

Jetzt hat der Student nur noch wenige Optionen: Entweder versucht er, einen Bildungskredit einer Bank zu bekommen, oder er findet einen edlen Unterstützer in Form eines reichen Bekannten oder Verwandten, in Form eine Stipendiums oder in Form eines unerhofften Lotto-Gewinns. Einen Bildungskredit aufzunehmen ist jedoch nicht immer möglich, da für diesen die Regelungen sehr streng sind. Außerdem macht der Student effektiv Schulden. Auch hier wird oftmals wieder erwähnt: „Wenn es keine Aussicht darauf gibt, dass der aufgewertete Studienabschluss einen Job einbringt, mit dem man in der Lage ist, Darlehen zurück zu zahlen, so ist das Studium ohne Sinn.“ Hinzu kommt der verständliche Unwille des Studenten, noch mehr Schulden anzuhäufen, so er denn für sein Diplom-Studium bereits welche verursacht hat – sei es durch den Bezug von BAföG oder einen Bildungskredit.

Somit steht der Student vor einer so gut wie vorweggenommenen Entscheidung: Soll er das Studium abbrechen beziehungsweise erst gar nicht aufnehmen oder von der „Hand in den Mund“ leben? Für Studenten, die sich in ihrem Aufbaustudium bereits bis ins Prüfungssemester durchgearbeitet haben, besteht immerhin die Möglichkeit, einen Härtefallantrag bezüglich ALG II zu stellen. Dann ist es möglich, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Darlehensbasis zu erhalten. Die Durchführungshinweise zum § 7 SGB II führen außerdem aus:

„Die Annahme eines besonderen Härtefalles kommt dagegen vor allem in Betracht, wenn […]der Abschluss der beruflichen Ausbildung unmittelbar bevorsteht, – nach der Interpretation der Verwaltungsgerichte gilt das allgemeine Prinzip <Je fortgeschrittener die Ausbildung bereits ist, desto größer die Härte, die ein Abbruch der Ausbildung bedeuten würde> […]“

Wie schon im Falle des Studienkredites steht hier eine Belastung des Studenten durch die Pflicht zur Schuldrückzahlung im Raum, allerdings im Gegensatz zur Förderung durch Banken ohne zusätzliche Zinsen.

Unterbricht der Student sein Studium (lässt er sich also beurlauben) für mehr als 3 Monate, besteht kein Anspruch auf BAföG. Darum besteht die Möglichkeit, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erhalten. Doch was kann ein Student im Urlaubssemester für sein Studium tun, da er doch beurlaubt ist? Nichts. Viel mehr Gewicht bekommen in diesem Fall sogar die Maßnahmen des Leistungsträgers. Denn dieser hat sich in der Regel zum Ziel gesetzt, erwerbsfähige Personen in Lohn und Brot zu bringen. Ob gerechtfertigt oder nicht, so sieht sich der Student nun in der Gefahr, sein Studium nicht wieder aufnehmen zu können, da die Art und der Umfang der Maßnahmen das nicht zulassen und da er bei Aufnahme des Studiums aus den Maßnahmen herausfallen müsste.

Die Ausführungshinweise für das SGB erläutern:

„Nach Auffassung des BVerwG ist es vor allem Auszubildenden an Hochschulen grundsätzlich zumutbar, durch gelegentliche Nebentätigkeiten einen Verdienst zu erzielen, der ausreicht, den sozialhilfe-rechtlichen Lebensunterhalt mit abzudecken. Die Rechtsprechung des BVerwG geht vom Regelfall eines <jungen belastbaren Menschen ohne einengende persönliche Verpflichtungen> aus.“

Wie ein als Vollzeitstudium geplantes Aufbaustudium und eine Nebentätigkeit sich miteinander vertragen, darauf jedoch geht das Gericht nicht weiter ein. Und es geht schon gar nicht darauf ein, wie es für behinderte Studierende aussieht. Je nach Behinderung könnte man einen Härtefall für behinderte Studierende annehmen. Dazu steht in den Durchführungshinweisen zum § 7 SGB II:

„Die Annahme eines besonderen Härtefalles kommt dagegen vor allem in Betracht, wenn […] es einem Schwerbehinderten bei Abbruch der schulischen oder beruflichen Ausbildung langfristig und möglicherweise auf Dauer nicht möglich sein wird, seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit ausreichend zu sichern […]“

Dies jedoch ist im Einzelfall zu entscheiden. Selbst das alte Sozialhilfegesetz war hier wenig hilfreich, denn das Bundesverfassungsgericht vertrat beim Thema Härtefallregelung die Auffassung,

„[…] dass Studierende für ihren Lebensbedarf arbeiten müssen. Dies gilt auch für die Abschlussphase eines Studiums. Falls während der letzten Prüfungen keine Zeit mehr zum Arbeiten ist, sei hierfür bereits vor der Prüfungsphase eine Rücklage zu bilden (so die Herren Richter). Was ist aber, wenn legitime Gründe existieren, die Erwerbsarbeit auch vor der Prüfung unmöglich gemacht haben?“

(Quelle: http://www.studentenwerk-oldenburg.de/soziales/alg2_1.htmlhttp://www.studentenwerk-oldenburg.de/soziales/alg2_1.htmlhttp://www.studentenwerk-oldenburg.de/soziales/alg2_1.html)

Das Reformvorhaben Hartz (III und) IV lautete und lautet seit jeher: „Fördern und Fordern“ Besonders in den Belangen des Förderns hat sich der Gesetzgeber diverse Maßnahmen ausgedacht, um hilfebedürftige Menschen in Lohn und Brot zu bekommen. Für derlei Maßnahmen, deren Wirkung in der Vergangenheit häufig belegbar und aus berechtigten Gründen angezweifelt wurde, werden große Geldsummen bereitgestellt. In Anbetracht dieser Tatsache ist es wenig verständlich, dass einem hilfebedürftigem Studenten hier nicht geholfen werden kann oder soll, der doch schon durch seinen Willen selbst, einen besseren Abschluss durch ein Aufbaustudium zu erlangen, um attraktiver für den Arbeitsmarkt zu sein und durch gesteigertes Wissen einen Mehrwert für die Gesellschaft erarbeiten kann, dafür sorgt, dass er gefordert wird. Gerade in Bundesländern, in denen momentan noch keine Studiengebühren erhoben werden, fällt für den Studenten lediglich die übliche Verwaltungspauschale je Semester an, die er begleichen muss – an der Technischen Fachhochschule Berlin zum Beispiel etwa 140 Euro bzw. etwa 90 Euro, sofern er sich vom Sockelbetrag für das Studententicket für den ÖPNV befreien lässt.

Eine Anerkennung eines Aufbaustudiums als Fördermaßnahme ist daher angebracht. Dazu bedarf es allerdings Anpassungen sowohl der Gesetzestexte, als auch durch Durchführungshinweise. Für folgendes Beispiel lässt sich eine Verweigerung von Leistungen dem guten Menschenverstand nach schwerlich begründen: Ein Student beginnt ein Aufbaustudium, ohne eine Förderleistung in Anspruch nehmen zu können. Da er dem Grunde nach erwerbsfähig ist und in Anbetracht der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der alten Sozialhilfe für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, ließe sich – schon aufgrund des bereits erlangten Studienabschlusses vom Studenten erwarten, dass er einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder nachgehen kann bzw. könnte und bezüglich den scharfen Regelungen auch muss bzw. müsste. Gesetz dem Fall der Teil des Arbeitsmarkts, der dem Bildungsstand des Studenten entspricht, macht es ihm nicht möglich, regulär Arbeit zu finden, so kann man nicht davon ausgehen, dass er dann in anderen Branchen einen adäquaten Arbeitsplatz erlangt. Er fällt, sofern er nicht studiert, in diesem Fall dem kommunalen Träger zu, der versuchen wird, eine Arbeit für ihn zu finden – schon deswegen, weil er im Grunde erwerbsfähig ist. Nun kann man davon ausgehen, dass diese Arbeit nicht in jedem Fall eine Vollzeitstelle ausfüllen wird. Warum sollte dem Studenten verwehrt bleiben, in der verbleibenden Zeit seine Qualifikation aufzuwerten? Der Student steht im Gegensatz zum Erststudium nicht in der Verantwortung, tatsächlich den durch die Studienordnung gesetzten Anspruch eines Vollzeitstudiums zu erfüllen – im Gegensatz zu jenen Studenten, die BAföG-berechtigt als Bachelor-Absolvent den höheren Abschluss anstreben. Tatsächlich kann er sich sogar soviel Zeit nehmen, wie er braucht – von den Mindestanforderungen je Semester abgesehen. Denn bei Verbesserung des Arbeitsmarktes ist er bereits qualifiziert durch den Abschluss seines Erststudiums, um eine angebotene Stelle anzunehmen. (Dass auch in diesem Fall in der Endphase des Aufbaustudiums eine Härtefallregelung greifen sollte, versteht sich von selbst.) Darüber hinaus kann solch eine geänderte Vorgehensweise auch dem Anspruch der sozialen Gerechtigkeit entsprechen. Denn durch die momentane Regelung können nur die Studenten einen Aufbaustudiengang bestreiten und somit höhere Qualifikationen erlangen, die in irgendeiner Form über finanzielle Sicherheiten verfügen, wie Vermögen oder familiäre Förderung. Von Chancengleichheit kann hier keine Rede sein. 

„Deutschland – Land der Ideen“
„Deutschland – Land der Dichter und Denker“
„Einigkeit und Recht und Freiheit“

Berlin, 30.12.2007
Version 1.1