Der kleine Betrug angesichts des großen Betrugs

Gastbeitrag von Roland Riedl

Endlich mal eine „erfreuliche Nachricht“: Sie glaube nicht, dass wir etwas durch weiteres Kürzen der Sozialhilfe- oder ALG-II-Sätze erreichen. Wo es keine Arbeitsplätze gebe, da kann man den Menschen nicht vorwerfen, dass sie keine Arbeit finden“, so die Bundeskanzlerin Merkel in einem Zeitschrifteninterview (taz 30.10.06).

In den Monaten zuvor wurden Hartz IV- EmpfängerInnen an den Pranger gestellt. Man unterstellte ihnen, dass sie Sozialschmarotzer und Betrüger wären.

Nur ein Beispiel: Die Bundesagentur für Arbeit behauptete, dass ca. zehn Prozent der Hartz IV Empfänger betrügen; die Daten stammen aus einer umstrittenen Telefonumfrage.

Die Folge oder Absicht, der öffentlichen Diskriminierung von Hartz IV BezieherInnen, waren Fortentwicklungs- und Optimierungsgesetze.

Keine Frage, betrogen wird sicherlich unter den Hartz IV EmpfängerInnen und dafür gibt es auch keine Rechtfertigung. Doch wenn man diese kleine Betrügereien (ALG-II-EmpfängerInnen haben so gut wie keine Werte oder Vermögen, um im großen Stil zu betrügen) mit denen in der wirtschaftlichen und politische Elite vergleicht, dann sind die Betrügereien von Hartz IV Empfänger im Verhältnis im Folgenden dazu: „Peanuts“.

Der Reihe nach. 
 Nach Angaben des Finanzministeriums wurden 2005 etwa 25 Milliarden Euro als Arbeitslosengeld II ausgezahlt, hinzu kamen rund zwölf Milliarden Euro für Unterkunftskosten und noch knapp vier Milliarden Euro für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Ein-Euro-Jobs.

 Das ergibt zusammen über 40 Milliarden  Euro Staatsausgaben, damit die Hartz IV Empfänger nicht verhungern und nicht in Hütten leben müssen. – Ich denke ein Mindeststandart für einen demokratischen Staat, der im Grundgesetz die Würde des Menschen verankert hat.
Aber der deutsche Staat stellt nicht nur das genannte Klientel finanzielle Mittel bereit , sondern vergibt auch die so genannte Hermes Bürgschaft.

2005 hat der Bund ca. 20 Milliarden Euro Hermes-Bürgschaften gewährt. Diese Bürgschaften sind staatliche Versicherungen für Exporte der deutschen Wirtschaft ins Ausland und schützen deutsche Firmen vor Verlusten durch ein Nichtzahlen der ausländischen Geschäftspartner.

Zahlt der Geschäftspartner der deutschen Firma nicht, und das Geschäft ist durch eine Hermes-Bürgschaft abgesichert, springt der der deutsche Staat ein. Das heißt, er übernimmt die Verluste für deutsche Firma; 2005 musste der deutsche Staat ca. 200 Millionen Euro laut Wirtschaftsministerium aufbringen.

Welch eine Garantie und noble Geste des Staates gegenüber der Wirtschaft. Die Firma hat kein Risiko und wird in der Öffentlichkeit auch nicht als Schmarotzer dargestellt.

 

 Aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Manche ALG-II-EmpfängerIn  staunt ob der Summen, die für andere bereit gestellt werden , einmal unabhängig von Hermes. Welche Bundesregierung auch immer, sie ließen oder lassen sich nicht  „lumpen“, vor allem wenn es um bestimmte Wirtschaftssektoren, Regionen und Unternehmen geht. 
Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel nennt eine jährliche Subventionssumme in Deutschland von ca. 150 Milliarden Euro.

 Gut das schafft auch Arbeitsplätze. Doch mit diesen Subventionen passieren auch Dinge, ich weiß nicht, ob man das Betrug nennen kann, aber man hat doch den Eindruck, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.

Jüngstes Beispiel: der Airbus 380. Bisher flossen in Hamburg für EADS etwa 800 Millionen Euro an Subventionen. Aber nachdem der A 380 in Turbulenzen geraten ist, droht Tausenden von Menschen der Verlust ihrer Arbeitskräfte.

Falls das passieren sollte, wer wird dann zur Verantwortung gezogen? Wird EADS, die von den Subventionen profitiert haben, strafrechtlich verfolgt, im Sinne von StGB,§ 264 Abs. 7, weil es ein Subventionsbetrug ist? 

Oder wird der deutsche Bundestag ein Optimierungsgesetz für Subventionsbetrug in Gang bringen? Ganz zu schweigen von den Unternehmen, die global agieren und an andere Standorte abwandern. – Zahlen sie erhaltene Subventionen zurück? Wer prüft  und verfolgt das? 

Ganz anders läuft es bei den ALG-II-EmpfängerInnen.

Im April 2006 wurden sie mit einem Fortentwicklungsgesetz „gesegnet“.

ALG II – Empfängerinnen unter 25 Jahren erhalten, wenn sie bei den Eltern ausziehen,  kein Geld mehr für eine eigene Wohnung. Leistungen für Miete; Heizung und Erstausstattung für eine Wohnungseinrichtung werden nur noch in Ausnahmefällen gewährt. Bereits ausgezogene junge Erwachsene müssen zurück zu den Eltern.
Außerdem erhalten sie nur noch 80 Prozent des Regelsatzes. Die Bundesregierung will so 600 Millionen einsparen.  Und bei diesem Gesetz sind nicht einmal die psychosozialen Folgen berücksichtigt. – Zurück an „Mutters Herd“ – keine Möglichkeit sich abzulösen, zurück in die elterliche Abhängigkeit und keine Möglichkeit sich individuell zu entwickeln. Ein hoher Preis, der den Staat noch manches kosten kann. 

Bei Hartz-IV-EmpfängerInnen ist der Staat nicht so zimperlich. Bei anderen, wo es um sehr viel Geld geht, ist er doch sehr zurückhaltend.

Gelder fließen in dunkle Kanäle, Verantwortliche in Top-Positionen fälschen Bilanzen oder arbeiten aufs eigene Konto: Wirtschaftskriminalität ist ein Wachstumsmarkt, sei es die Steuerhinterziehung oder die Geldwäsche.

.Den öffentlichen Kassen von Bundesländern und Kommunen oder Firmen gehen Millionen Euro verloren.
Der Frankfurter Wirtschaftskriminologe Hans See schätzt den jährlichen Schaden durch die Wirtschaftskriminellen auf bis zu 150 Milliarden Euro.

Doch die politischen Verantworten, so mein Eindruck, schauen diesem „Treiben“ gemächlich zu. Sie lassen sich Zeit und haben keine Eile, wenn es um die Interessen des Kapitals geht.
Zum Beispiel wurde das Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten, das Geldwäschegesetz (GwG) im Januar 2004 geändert; nachdem es von 1993 bis 2004 keine Änderungen gab. Es gab kein jährliches Fortentwicklungs- oder Optimierungsgesetz. 

Die Bundesregierung beschließt dagegen ein weiteres Gesetz. Nicht für den großen Betrug, sondern für LeistungsempfängerInnen von ALG II.

 Ziel des Gesetzes war es bei den ALG-II EmpfängerInnen jährlich 1,2 Milliarden Euro einzusparen. Dabei setzt die Bundesregierung auf die Gängelung von Arbeitslosen.

Wer neu Hartz-IV-Leistungen beantragt, soll künftig immer sofort ein Job- oder Förderangebot (meistens sind das Ein-Euro-Jobs) annehmen.

Warum? Angeblich um die Arbeitsbereitschaft zu überprüfen. Wer zweimal solch ein „großartiges“ Angebot ablehnt, soll 60 Prozent seiner Hartz-IV-Leistungen verlieren. Außer dem Arbeitslosengeld II soll auch noch der Mietzuschuss gekürzt werden. Des weiteren sollen die Behörden flächendeckende Außendienste einrichten, die die Lebensverhältnisse der Hartz-IV-Bezieher prüfen. Die Möglichkeiten von Datenabgleichen, z.B. bei Sparkassen und Banken sollen erweitert werden – damit die öffentlicher Gelder nicht verschwendet werden. 

Wer verschwendet oder betrügt noch mit öffentlichen Geldern?

Alle Jahre wieder veröffentlich der Bund der Steuerzahler sein Schwarzbuch. Die Verschwendung von Steuergeldern beläuft sich auf etwa 30 Milliarden Euro – nur nebenbei bemerkt. 

Zu beachten ist auch der Bundesrechnungshof, deren Präsident, in seiner Funktion als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung ein Gutachten zu aktuellen Problemen beim Steuervollzug vorgelegt hat (Bonn, 3.8.2006)

Der Bundesrechnungshof beklagt, „dass ein Großteil der Steuererklärungen in den Finanzämtern nicht mehr ordnungsgemäß geprüft werden kann.“

Die Erklärungen würden häufig nur noch im Schnellverfahren bearbeitet. Warum?

Zu wenig Geld und Personal – das bereitet dem Bundesrechnungshof …“Sorge, dass durch eine unausgewogene personelle Besetzung der Betriebsprüfungsstellen sowohl die vorbeugende Wirkung der Betriebsprüfung als auch die Prüfungsdichte insbesondere der Klein- und Kleinstbetriebe leidet. Ferner schlägt der Bundesrechnungshof eine zentral zuständige Bundesbetriebsprüfung für Konzerne, international verbundene Unternehmen sowie sonstige Großbetriebe vor, damit diese Betriebe straffer und wirksamer geprüft werden können.“

Zeit für Steinbrück, ein Fortentwicklungsgesetz oder Optimierungsgesetz zu formulieren, um vor allem Konzerne und international verbundene Unternehmen sowie sonstige Großbetriebe zu sanktionieren und kontrollieren. 

Und ein letztes: Der Bundesrechnungshof hat  im Mai eklatante Mängel beim Umsetzen der Arbeitsmarktreform Hartz IV bemängelt. –  Einsparmöglichkeiten würden nicht genügend ausgeschöpft und Arbeitslose müssten im Durchschnitt ein Vierteljahr auf ein Gespräch warten „zur Integration in den Arbeitsmark“.

 Des weiteren wurden Fehler bei Leistungskürzungen und beim Anrechnen des eigenen Vermögen Versäumnisse festgestellt.

Außerdem hat der Bundesrechnungshof  die so genannten gemeinnützigen Ein-Euro-Jobs kritisiert. „Bei fast einem Viertel der geprüften Maßnahmen mit Arbeitsgelegenheiten lagen die Förderungsvoraussetzungen nicht vor“, so in dem Bericht. 

Sie, die Bundesagentur für Arbeit, Bundesregierung und Parlament sanktionieren und kontrollieren, sie machen Fehler und ziehen keine Konsequenzen, sondern prügeln auf die Hartz IV Empfänger weiter ein. Nach dem Motto „hau den Lukas..“

Nicht Podelski, er spielt und sitzt in trockenen Tüchern.

Sondern der SPD-Fraktionschef Peter Struck will den Hartz – IV – Empfänger einen weiteren Strick drehen, indem er vorschlägt, weitere Leistungen zu kürzen. Auch sein Kollege aus der Christlichen Partei, Volker Kauder, bringt sein „Kauderwelsch“ an:

 Es bestehe Handlungsbedarf.  – Man kann nur hoffen, dass Peter Struck, Volker Kauder und andere auf das Machtwort der Bundeskanzlerin hören, sich zurückhalten, nachdenken und Gesetze gegen Subventionsbetrug und Wirtschaftskriminalität (über 300 Milliarden Euro), auf den Weg bringen und zwar im selben Tempo wie bei den Hartz-IV-EmpfängerInnen, die 40 Milliarden Euro „kosten“.

Und sich ein Beispiel nehmen:

„Der Tendenz zu einem Generalverdacht gegen alle Hartz IV-Empfänger werde ich auf jeden Fall entgegentreten“, so Gerald Weiss, Vizebundesvorsitzender der CDA, in der taz vom 20.10.2006.