Regierung läßt Arbeitslose kontrollieren

Aus FAZ vom 02.05.2006

Regierung läßt Arbeitslose kontrollieren
Frankfurter Allgemeine Zeitung – Frankfurt,Germany

Mit Sofortangeboten wollen die Behörden die Arbeitswilligkeit testen

entfliehen. Das Erwerbslosenforum warf Andres Volksverdummung und Diffamierung vor und kündigte Widerstand gegen das Gesetz an. ….

 

Hartz IV


Regierung läßt Arbeitslose kontrollieren

02. Mai 2006 
Durch schärfere Kontrollen der Arbeitslosengeld-II-Empfänger sowie effizientere Verwaltungsabläufe will die Bundesregierung in diesem Jahr 400 Millionen Euro und von 2007 an jährlich rund 1,2 Milliarden Euro sparen.

Das geht aus den Formulierungshilfen der Koalitionsfraktionen zum SGB-II-Fortentwicklungsgesetz hervor, die an diesem Mittwoch vom Kabinett gebilligt werden sollen. Das Gesetz setzt unter anderem auf verstärkte Außendienst-Kontrollen der Erwerbslosen, einen Datenaustausch zwischen den Behörden sowie eine Beweislastumkehr für eheähnliche Partnerschaften.

Außendienst-Prüfungen und Sofortangebote

Zudem soll die Arbeitswilligkeit der Erwerbslosen durch Sofortangebote überprüft werden. Das Gesetz soll zum 1. August in Kraft treten und bedarf der Zustimmung des Bundesrats.

Allein durch verschärfte Außendienst-Prüfungen könnten jährlich bis zu 450 Millionen Euro gespart werden, betonte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Gerd Andres. "Es geht nicht um Leistungskürzungen. Wer der Hilfe bedarf, bekommt sie auch und hat einen Rechtsanspruch darauf", sagte der SPD-Politiker der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Wer aber die Hilfe beanspruche, obwohl er nicht bedürftig sei, und beispielsweise eigenes Vermögen verschweige, betrüge die Gesellschaft.

Mehr Geld für die Altersvorsorge

Wie aus den Eckpunkten, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegen, weiter hervorgeht, sollen künftig Langzeitarbeitslose mehr Geld für die Altersvorsorge zurücklegen dürfen, ohne daß ihnen Leistungen nach dem Hartz-IV-Gesetz gekürzt werden. Die entsprechenden Freibeträge sollen von 200 auf 250 Euro erhöht, dafür aber der Freibetrag für sonstiges Vermögen wie Wertpapiere oder Sparguthaben von 200 auf 150 Euro je Lebensjahr gekürzt werden. Außerdem soll der Vermögensfreibetrag für Kinder von Arbeitslosengeld-II-Beziehern gesenkt werden. Das Gesetz sieht aber auch Leistungsverbesserungen wie eine Pauschale für Babyerstausstattung sowie Zuschüsse für Bafög-Empfänger vor.

In den laufenden Bundesetat sind 24,4 Milliarden Euro für passive Leistungen nach dem Hartz-IV-Gesetz eingestellt; hinzu kommen rund 6,5 Milliarden Euro für Eingliederungsleistungen und 3,5 Milliarden Euro für Verwaltungskosten. In den ersten drei Monaten hat der Bund bereits 7 Milliarden Euro an Arbeitslosengeld II gezahlt; dieser Betrag könne aber nicht auf Ausgaben von 28 Milliarden Euro für das Gesamtjahr hochgerechnet werden, betont das Ministerium.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) rief den Gesetzgeber auf, die Fürsorge auf die für eine menschenwürdige Existenz erforderlichen Leistungen" zu konzentrieren. Die befristeten Zuschläge beim Übergang vom Arbeitslosengeld zum Arbeitslosengeld II müßten umgehend wegfallen, ebenso der erleichterte Arbeitslosengeldbezug für mindestens 58 Jahre alte Arbeitnehmer, die nicht mehr vermittelt werden wollen. Außerdem sollten der Datenabgleich verbessert und Leistungsempfänger zur Teilnahme an Telefonbefragungen verpflichtet werden. "Datenschutz darf nicht Täterschutz sein." Auch müsse die Höhe des Arbeitslosengelds II anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe objektiv und vorurteilsfrei überprüft werden. "Gerechtfertigt ist nur, was zur Sicherung des Lebensunterhaltes wirklich notwendig ist."

Die Grünen kritisierten die Einsparungen. Die große Koalition setze "auf noch schärferes Fordern statt Fördern und läutet damit ihre nächste Kürzungsrunde gegenüber den Langzeitarbeitslosen ein", rügte der Sozialpolitiker Markus Kurth. Lebensformen wie Wohngemeinschaften würden "dem Generalverdacht des Leistungsbetrugs" unterstellt, da neuerdings ein Jahr des Zusammenwohnens ausreichen solle, um eine Bedarfsgemeinschaft zu begründen. Für Hartz-IV-Empfänger werde es künftig noch schwerer, der sozialen Isolation zu entfliehen. Das Erwerbslosenforum warf Andres Volksverdummung und Diffamierung vor und kündigte Widerstand gegen das Gesetz an.

Text: F.A.Z., 03.05.2006, Nr. 102 / Seite 13, mmue.
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa
Quelle: FAZ